Kölner Stadtanzeiger, Mittwoch, 20. Januar 2014

„Den meisten reicht eine Dusche“

Erzbischof Maradiaga über Papst Franziskus, die reiche Kirche und Franz-Peter Tebartz van Elst

Die violetten Kommentare sind Anmerkungen von www.herzmariens.de!

Herr Kardinal, Papst Franziskus hat die Katholiken befragen lassen, wie es um die kirchliche Lehre zur Familie und die Sexualmoral steht. Was wird auf der Bischofssynode 2014 zu diesen Themen aus den Antworten folgen, die - wie im Erzbistum Köln - schonungslos von weltfremden und lebensfeindlichen Positionen der Kirche sprechen?

 

OSCAR RODRIGUEZ MARADIAGA: Ich habe den Papst gefragt: „Warum denn schon wieder eine Synode zur Familie? Wir hatten doch schon 1980 eine, und wir haben; das schöne Lehrschreiben Familiaris consortio Johannes Pauls II. von 1983.“

 

Was hat Franziskus geantwortet?

MARADIAGA: Das ist 30 Jahre her. Heute gibt es die Familie von damals für die meisten Menschen gar nicht mehr. Und das stimmt: Wir haben Scheidungen, wir haben die Patchworkfamilien, die vielen Alleinerziehenden, Phänomene wie Leihmutterschaften, kinderlose Ehen. Nicht zu vergessen die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Die waren 1980 doch nicht einmal am Horizont erkennbar. All das erfordert Antworten für die Welt von heute. Und es genügt nicht zu sagen: Dafür haben wir die traditionelle Lehre. Selbstverständlich, die traditionelle Lehre wird fortbestehen. Aber die pastoralen Herausforderungen erfordern zeitgemäße Antworten

(Mit "pastoralen Herausforderungen" sind die Wünsche der Menschen gemeint; mit "zeitgemäßen Antworten"  ist gemeint, die göttliche Wahrheit den Bedürfnissen der Menschen anzupassen.)

Und die stammen nicht mehr aus Autoritarismus und Moralismus.

(Meint er mehr Mitsprache des Volkes, d. h. demokratische Abstimmung in moralischen Fragen? Was sonst!)

Das ist keine „Neuevangelisierung“, nein, nein!

 

Ihr Mitbruder, Kardinal in spe Gerhard Ludwig Müller, hält als Präfekt der Glaubenskongregation offenbar mehr von der Autorität der Kirche.

MARADIAGA: Ich habe es gelesen, ja. Und ich dachte: „Okay, vielleicht hast du recht, vielleicht aber auch nicht.“ Ich meine, ich verstehe ihn: Er ist Deutscher - ja, ich muss das sagen, er ist obendrein Professor, ein deutscher Theologieprofessor. In seiner Mentalität gibt es nur richtig oder falsch.

(Gemeint ist, dass es zwischen Wahrheit und Lüge noch etwas Drittes gibt, ein "Ja, aber...". )

 das war's. Aber ich sage: „Die Welt, mein Bruder, die Welt ist nicht so. Du solltest ein wenig flexibel sein, wenn du andere Stimmen hörst, damit du nicht nur zuhörst, und sagst, nein, hier ist die Wand.“

(Mit "Wand" ist die unveränderliche Wahrheit Gottes gemeint.)

 Also, ich glaube, er wird dahin gelangen, andere Ansichten zu verstehen. Aber jetzt ist er halt noch am Anfang, hört bloß auf seinen Beraterstab.

(Also hat man noch Hoffnung, den Präfekten der Glaubenskongregation im Sinne von Franziskus erziehen zu können. Hält dieser aber an der Wahrheit fest, wissen wir, was ihm bevorsteht.)

 

Werden Sie ihm Ihren Rat anbieten?

MARADIAGA: Bis jetzt haben wir noch nicht miteinander gesprochen. Aber wir werden reden, ganz bestimmt. Es ist immer gut, einen guten Dialog zu führen.

 

Fürchten Sie nicht, dass dem Papst mit seinen 77 Jahren nicht genug Zeit für all diese Veränderungen bleibt?

MARADIAGA: Ich glaube, zum einen sind wir bereits an einem „Point of no return“.

(Wohl wahr, nur Gottes Eingreifen kann diesen Trend stoppen!)

Zum anderen ist der Papst von einer Energie, die mich immer wieder staunen macht. Wissen Sie, wir sprachen vor dem Konklave miteinander, und er sagte: „Ich habe übrigens schon mein Rücktrittsgesuch eingereicht.“ Dann kam er als Papst aus dem Konklave - und seither ist er wie verwandelt.

 

Ihr enger Draht zu Franziskus macht Sie für konservative Katholiken zu seinem „fürchterlich zungenfertigen Chefberater“. Ihre Kommission firmiert als die „Achterclique“ von Bergoglio & Co. Das spricht für eine massive Gegnerschaft zum Papst.

MARADIAGA: Massiv vielleicht, aber nicht zahlreich.

(Also die Restarmee!)

Die meisten Katholiken stehen hinter dem Papst.

(Die Mehrheit kann sich nicht irren - oder doch?)

Seine Gegner sind Leute, die die Wirklichkeit nicht kennen.

(Auch hier irrt der Kardinal: Die Leser des "Buches der Wahrheit" kennen die Wirklichkeit und noch viel mehr...    )

Es gab zum Beispiel in US-Wirtschaftskreisen viel Geschrei um die Kapitalismus-Kritik des Papstes in seiner Enzyklika „Evangelii Gaudium“. Ja, wer sagt denn, der Kapitalismus sei perfekt? Wen hat denn die jüngste Finanzmarkt-Krise getroffen? Doch nicht die Armen, sondern das reiche Amerika, das reiche Europa. Und diese Krise war keine Erfindung der Befreiungstheologie und nicht die Folge der „Option für die Armen“. Wer den Kapitalismus nicht kritisiert, der liegt falsch. Nicht der Papst. Aber bitte, sollen sie auf ihn schimpfen und sich über ihn echauffieren. Ich versuche, meinem Gewissen zu folgen.

 

Der Papst wünscht sich eine „ arme Kirche“. Die deutsche Kirche ist reich, sehr reich. Darf sie „reiche Kirche“ sein, solange sie mit ihrem Geld den Armen hilft?

MARADIAGA: Den Armen zu helfen bedeutet nicht, arm zu sein. Es geht um wahres Teilen. Sie haben Recht, die deutsche Kirche ist reich - reich an Geschichte, an Kultur, an wunderbaren Kunstwerken. Dieses Erbe muss sie wahren. Wir wären ja verrückt, wollten wir zu Bilderstürmern werden wie im Mittelalter.

 

Vergessen Sie die Kirchensteuer nicht!

MARADIAGA: Das ist ein anderer Aspekt von Reichtum. Die Deutschen, große Organisatoren, haben sich dieses System der Finanzierung ausgedacht. Das habe ich nicht zu kritisieren. Ich sehe vielmehr, dass die deutsche Kirche ein waches Auge, ein offenes Herz hat und dass sie ihren Reichtum für andere einsetzt. Es gibt keine Ortskirche auf der Welt, die so viel Hilfe leistet wie die deutsche. Keine einzige! Ich finde, das muss auch gesagt werden, und als Außenstehender kann ich das am besten.

 

Die deutsche Kirche sieht sich selbst zu negativ?

MARADIAGA: Vielleicht gewichtet sie falsch. Nehmen Sie das Bistum Limburg. Natürlich, ich leide mit den deutschen Katholiken an den Problemen dort. Aber das ist doch nur ein Fall! Und selbst dem lässt sich womöglich noch etwas Positives abgewinnen. Wir sagen im Spanischen: Es gibt kein Übel, aus dem nicht etwas Gutes werden könnte.

 

Was wäre das Gute?

MARADIAGA: Dass sich in der kirchlichen Hierarchie die Erkenntnis durchsetzt: Wir müssen da wohl ein paar Dinge bei uns ändern, nicht nur in Limburg.

 

Wird Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst in sein Bistum zurückkehren?

MARADIAGA: Nein, ich glaube nicht. Wenn einer Fehler gemacht hat, soll er sich dazu bekennen, um Entschuldigung bitten und sich einen anderen Platz suchen. Ich weiß, dass viele Gläubige im Bistum Limburg verletzt sind. Um offene Wunden zu heilen, schütte ich keinen Alkohol darauf.

 

Sieht der Papst das auch so ?

MARADIAGA: Es ist offensichtlich, dass sein Plädoyer für eine arme Kirche und sein persönlicher Lebensstil immer kohärent waren, ob als Jesuitenpater, als Erzbischof oder jetzt als Papst.

 

Sie meinen, da hat er wenig Verständnis für opulente Bischofsresidenzen oder frei stehende Badewannen?

MARADIAGA: Leuten, die wie er oder ich aus Lateinamerika kommen, fällt das auch schwer. Natürlich, Ihre Lebensstandards in Deutschland sind andere als bei uns. Aber trotzdem: Vieles von dem, was ich gehört habe, ist nicht nötig. Eine Dusche, eine Toilette - das reicht. Den meisten Leuten jedenfalls reicht es. Und dem Papst auch, wie Sie wissen, in seinem Drei-Zimmer-Apartment. Mir hat sehr gefallen, was der Papst zum Fest Allerseelen gesagt hat: „Ich habe noch nie eine Beerdigung gesehen mit einem Umzugswagen hinter dem Sarg.“

 

Das Gespräch führte Joachim Frank

(Anmerkung: Joachim Frank ist ein ehemaliger katholischer Priester, der jetzt Redakteur für kirchliche Angelegenheiten beim Kölner Stadtanzeiger ist. Priester bleibt man allerdings auf ewig.)

 

Ein Multitalent

Oscar Rodriguez Maradiaga,

geb. 1942, ist seit 1993 Erzbischof von Tegucigalpa (Honduras). Der Kardinal, der aus dem Orden der Salesianer Don Boscos kommt, ist ein Multitalent: Neben seiner philosophischen und theologischen Ausbildung studierte er Klavier und Komposition, Physik, Mathematik, Chemie und Psychologie in seiner Heimat sowie in Rom und Innsbruck. Dort erwarb er ein Diplom in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Maradiaga spricht mindestens sechs Sprachen, darunter auch Deutsch.

Der sozialpolitisch engagierte Geistliche, der 2005 und 2013 vor dem Konklave als Papstkandidat des katholischen Reformflügels gehandelt wurde, steht an der Spitze der internationalen Caritas. Als Koordinator der neuen Kardinalskommission zur Erarbeitung einer Kurienreform gehört er zu den einflussreichsten Persönlichkeiten um Papst Franziskus. Zuletzt hatte der Papst den honduranischen Kardinal am Dienstag empfangen.

Am Wochenende war Maradiaga Gast von „Don Bosco Mondo“ und „Don Bosco Mission“ in Bonn. Beide Hilfswerke der Salesianer engagieren sich in der Armutsbekämpfung durch Bildung, vor allem von Kindern und Jugendlichen, (jf)