Augsburger Zeitung, 10. September 2015

Scheidung auf katholisch

Analyse Der Papst erleichtert die Annullierung von Ehen. Seine Gegner im Vatikan sind „stinksauer" und kündigen einen „Kampf" an

VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Das Thema klingt sperrig, ist für die katholische Kirche aber hochexplosiv. Das zeigen die Reaktionen aus der römischen Kurie auf die von Papst Franziskus verabschiedete Reform zur Vereinfachung und Beschleunigung von Ehenichtigkeitsverfahren. „Das ist die Scheidung auf katholisch“, behauptet ein hoher Prälat. „Franziskus hat seine Maske fallen lassen“, sagt ein Monsignore. Kern der Reform ist ein nicht länger als 30 Tage dauerndes Schnellverfahren zur Feststellung der Nichtigkeit katholischer Ehen unter Aufsicht des Bischofs. Franziskus will damit Gläubige unterstützen, die unter den manchmal Jahre dauernden Nichtigkeits-Prozessen leiden. Es geht um die Frage, unter welchen Umständen gläubige Ehepartner den mit Gott geschlossenen Bund wieder verlassen können. Die Kirche löst dieses Problem seit Jahrhunderten mit einem juristischen Kniff und qualifiziert solche Ehen von vornherein als nicht existent. Bislang mussten mehrere Instanzen bei der Feststellung dieser Nichtigkeit durchlaufen werden, diese Notwendigkeit fällt nun weg. Außerdem genügt es fortan, „mangelnden Glauben“, „sofortige Untreue“ oder eine Abtreibung nachzuweisen. Doch offensichtlich steht dieses Bestreben mit dem katholischen Dogma der Unauflöslichkeit der Ehe im Konflikt.

Eine Mehrheit der Bischöfe hatte sich bei der Familiensynode im vergangenen Jahr für die Beschleunigung der Prozesse ausgesprochen, ein Schnellverfahren durch den Bischof war aber umstritten. Denn allzu schnell wieder zu trennen, was Gott eigentlich für immer verbunden hat, erweckt leicht den Anschein einer Kapitulation. Anfang Oktober kommen die Bischöfe erneut zu einer Synode zusammen. Über die Ehenichtigkeitsverfahren gibt es nun nichts mehr zu diskutieren. Seine Heiligkeit hat verfügt. Das stößt viele Mitarbeiter des Papstes vor den Kopf.

Alle möglichen Instanzen seien bei der Entscheidung im Vatikan übergangen worden, allen voran die Synode und die Glaubenskongregation. Der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, sei „stinksauer“, sagt ein Kurienmann. Müller selbst wollte sich gestern nicht äußern. Aus seinem Umfeld hieß es jedoch, man stehe vor „drei Wochen Kampf“. Die Synode, in der die Bischöfe um Themen wie wiederverheiratete Geschiedene, Öffnung gegenüber Homosexuellen, und den künftigen Kurs der katholischen Kirche insgesamt ringen, beginnt am 4. Oktober.

Im Jahr 2013 wurden gerade einmal 740 katholische Ehen in Deutschland für nichtig erklärt, weltweit waren es 47 000. Die Zahlen konnten durch das Schnellverfahren nach oben schießen. Der Papst, so sind sich seine Kritiker inzwischen sicher, agiert im Alleingang. Dass er mit seiner Blitzreform den Effekt einer „Wasserbombe“ erzielen wollte, die vor dem Bischofstreffen einige Lunten löscht, wie die Zeitung La Srumpu spekuliert, ist eine Möglichkeit. Die andere ist, dass die Verteidiger der reinen Doktrin nun noch kompromissloser werden.