Augsburger Zeitung, 11. SEPTEMBER 2015

Rebellion gegen Franziskus?

Dossier über den Papst kursiert in der Kurie

VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Gift und Galle wird zurzeit in der Kurie, dem bürokratischen Apparat des Papstes, gegen Franziskus gespuckt. Dort zirkuliert ein Dossier, das dieser Zeitung vorliegt, in dem die jüngsten „Verfehlungen" des Papstes systematisch aufgelistet werden. Mancher Prälat verspürt gar physische Aggressionen gegen den Pontifex und teilt das unter dem Schutz der Anonymität auch mit. Und das nur drei Wochen bevor die katholischen Bischöfe aus aller Welt im Vatikan zusammenkommen, um bei einer Synode über den künftigen Kurs ihrer Kirche zu diskutieren.

Der Auslöser für das, was man getrost als Vorbereitung eines organisierten Widerstandes gegen Franziskus bezeichnen kann, ist der jüngste Gesetzeserlass des 78 Jahre alten Argentiniers. Mit seinem am vergangenen Dienstag veröffentlichten Motu Proprio (aus eigenem Antrieb) habe er die Kirche vor vollendete Tatsachen gestellt, heißt es. Sichtbar wird der Zorn der Kurie in dem schneidend formulierten Dossier, das dieser Tage in den wichtigsten Büros im Vatikan Verbreitung findet.

Die Hauptvorwürfe lauten, der Papst habe die bei einer für die Kirche derart essenziellen Materie zuständigen Gremien umgangen und de facto die „katholische Scheidung“ eingeführt. Die meisten Sicherungen im Eheprozess seien wissentlich „ausgeschaltet“ worden.

Insbesondere die Einführung eines Eilverfahrens unter Aufsicht des Bischofs zur Feststellung der Ehenichtigkeit macht den Kritikern des Papstes zu schaffen: Sollte es nun, wie von den Papst-Gegnern befürchtet, zu einer Schwemme von Nichtigkeitserklärungen kommen, wäre das Problem der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten praktisch beseitigt. Sie könnten fortan problemlos aus ihrer katholischen, eigentlich für die Ewigkeit geschlossenen Ehe, aussteigen. Per päpstlichem Dekret.

Für die Bewahrer der Doktrin kommt das einem Super-Gau gleich.