St. Galler «Mafia» steuerte die Papst-Wahl
Quelle: http://www.20min.ch/schweiz/ostschweiz/story/12971358
29. September 2015.
Eine belgische Biografie wartet mit brisanten Enthüllungen auf:
Ein kirchlicher Geheimzirkel traf sich regelmässig in St. Gallen. Ziel der Männer: die Wahl von Papst Franziskus.
Dieser Tage veröffentlichten die belgischen Historiker Jürgen Mettepenningen und Karim Schelkens eine Biografie des Erzbischofs von Brüssel, Kardinal Godfried Danneels (82). Das 592-seitige Werk hat es in sich – vor allem aus St. Galler Sicht, wie Radio FM 1 am Dienstag berichtete.
Danneels outet sich darin als Mitglied der sogenannten «St. Galler Gruppe». Diese habe aus Kardinälen und Bischöfen bestanden und sich ab 1996 in regelmässigen Abständen getroffen – in aller Heimlichkeit. Bisweilen sollen dem klandestinen Zirkel 45 Geistliche angehört haben.
Auch Papst Franziskus war dabei
Gemäss der Biografie fand das erste Treffen 1996 in St. Gallen statt. Initianten waren der damalige St. Galler Bischof Ivo Fürer und der damalige Erzbischof von Mailand, Carlo Maria Martini, der als «Anti-Papst» galt. Es waren liberale Kirchenmänner, die sich eine fundamentale Reform der katholischen Kirche wünschten. Ihnen gehörte auch Jorge Mario Bergoglio an, der heutige Papst Franziskus. Intern nannten die Geistlichen ihre Gruppe laut den Biografen «Mafia». Ihre Treffen hätten sie jeweils als spirituellen Urlaub getarnt.
Als 2005 Papst Johannes Paul II. starb, versuchte die «St. Galler Gruppe» ein erstes Mal, Bergoglio in Position zu bringen. Die Gruppe unterlag jedoch knapp: Papst wurde der konservative Deutsche Joseph Ratzinger, später Benedikt XVI. Laut den Biografen hatte die St. Galler Gruppe fortan den Sturz Ratzingers zum Ziel. Dieser trat im Februar 2013 von seinem Amt zurück, geschwächt nicht zuletzt von der sogenannten Vatileaks-Affäre. Es war der erste Rücktritt eines Papstes seit 700 Jahren. Ratzinger führte gesundheitliche Gründe für den Schritt an.
«Rein freundschaftliche Treffen»
Beim Bistum St. Gallen bestätigte man am Dienstag die Treffen der Geistlichen. «In der Zeit zwischen 1996 bis 2006 fanden jährlich Treffen zwischen Kardinälen und Bischöfen in St. Gallen statt,» so Bistumssprecherin Sabine Rüthemann gegenüber 20 Minuten. Es seien «rein freundschaftliche Treffen» gewesen: «Die Geistlichen hatten sich im Rat der europäischen Bischofskonferenz kennengelernt und wollten in Kontakt bleiben.» Natürlich habe man sich angesichts des sich abzeichnenden Todes von Johannes Paul II. Gedanken über dessen Nachfolge gemacht, so Rüthemann. Und es sei auch so, dass Jorge Mario Bergoglio damals der Wunschkandidat der Personen um Bischof Fürer gewesen sei. Von einem klandestinen Charakter der Zusammenkünfte will Rüthemann jedoch nichts wissen.
Dieser Darstellung widersprechen die Aussagen von Alfred Dubach, dem ehemaligen Leiter des Pastoralsoziologischen Instituts in St. Gallen und intimen Kenner der Bistums St. Gallen jener Tage. «Ich habe damals nichts mitbekommen von Treffen mit Kardinälen», sagt Dubach. «Wenn es sie gab, müssen sie in aller Heimlichkeit stattgefunden haben.» Der emeritierte Bischof von St. Gallen, Ivo Fürer, war gestern für die Medien nicht zu sprechen. Via Bistum liess er ausrichten, dass die Wahl von Bergoglio alias Franziskus der Zielsetzung entsprochen habe, die in St. Gallen verfolgt worden sei. Sein Nachfolger Markus Büchel wollte sich ebenfalls nicht äussern. Laut dem Bistum war Büchel nie Mitglied dieses Zirkels. Als damaliger Bischofsvikar habe er am Rande Kenntnis von den Treffen gehabt, sei aber nie dabei gewesen.
«Keine finsteren Machenschaften»
Laut Sabine Rüthemann fand das letzte Treffen in St. Gallen 2006 statt. Doch offenbar war das nicht das Ende der «St. Galler Gruppe»: 2013 wurde Jorge Mario Bergoglio doch noch zum Papst gewählt. Kardinal Godfried Danneels stand nach der Wahl strahlend gleich neben ihm auf dem Petersplatz.
Der Zürcher Journalist und Theologe Michael Meier wertet es als «herausragende Leistung der Gruppe», dass sie es geschafft habe, Bergoglio ein zweites Mal zu portieren und durchzubringen. So etwas könne man nicht in aller Öffentlichkeit vorbereiten. An finstere Machenschaften der Gruppe glaubt er hingegen nicht. Meier: «Wenn es um Papstwahlen geht, sind die Verschwörungstheorien nie weit.»