Aus einer Ansprache von Pfr. Hans Milch, 1984, über die Wahrheit.

Denn die Wahrheit ist uns endgültig geschenkt, so daß du und ich im Besitze der Wahrheit sind. Wir forschen nicht nach der Wahrheit. Ein katholischer Christ, der behauptet, er müsse sich der Wahrheit nähern und die Wahrheit erforschen, verrät Christus und die Kirche. Der katholische Christ weiß, daß ihm gnadenhaft, unverdienterweise die ganze weltumspannende, ewige, endgültige Wahrheit um seinetwillen, als sein herrliches Glück geschenkt ist, und nun geht er daran, immer tiefer sich einweihen zu lassen in die Wahrheit, er forscht nicht nach der Wahrheit, er sucht nicht nach der Wahrheit, sondern er sucht in der Wahrheit. Das ist das Kennzeichen des katholischen, des beglückten Christen, der eingebettet ist, gesichert ist im Ewigen und Endgültigen. Es ist die Schmach, die den offiziellen Raum der katholischen Kirche seit zwanzig Jahren besetzt, verschüttet, besetzt hält, daß man dort so tut, als dürfe oder müsse man gar gemeinsam mit anderen, die der Fülle nicht teilhaftig sind, auf die Suche gehen nach die Wahrheit. So etwas zu behaupten im offiziellen Raum der katholischen Kirche ist Gotteslästerung, und was heute den offiziellen Raum der katholischen Kirche besiegelt und kennzeichnet ist sakrilegische Einstellung, Verweigerung, die Verneinung gegen die Wahrheit, das Infragestellen der ewigen Wahrheit, so tun, als könne man die Wahrheit selber noch nicht erreichen, als stünden wir noch im Niemandsland, im hoffnungslosen, unverbindlichen, sinnlosen, nichtigen Niemandsland des Noch-nicht.

So wird heute getan im offiziellen Raum, wo diejenigen walten, die sich beschwichtigen und es wagen, das Wort "römisch-katholisch" in den Mund zu nehmen, wenn sie uns, dich und mich rügen, die wir an der zweitausend Jahre alten, einen Kirche festhalten. Uns rügen die, die von der Masse gekennzeichnet sind, die von der Masse leben, die von der bequemen, feigen Masse genährt werden und sich sattessen an der Behaglichkeit eines armseligen, schläfrigen, widerstandslosen Gewimmels, eines Miteinanders, einer lächerlichen Komödie von Solidarität und Mitmenschlichkeit, die das Schicksal des Einzelnen ausklammert und dem Einzelnen keinen Atemraum läßt, auf die einzig gültige höchste Autorität einzugehen, die hier auf Erden repräsentiert, inkarniert, verwirklicht werden soll im Bischof, im Papst, der den Einzelnen vor die Frage stellt: "Willst du oder willst du nicht? Willst du dein ewiges Glück oder willst du das nicht? Wähle! Hier stehe ich in der Zuständigkeit des Himmels, in der Zuständigkeit Gottes. Hier verkünde ich dir, worauf du in deiner Freiheit ja oder nein sagen kannst." Das ist das Wesen der katholischen Kirche und nicht irgend ein Sammlungsunternehmen, ein fades, mürbes, langweiliges, inhaltloses, farbloses Gewimmel von alltäglichem Gebaren, wie es sich heute darstellt zur grenzenlosen Abscheu aller, die noch einen Rest von menschenwürdigem Anspruch in ihrer Seele bewahrt haben.

Die Besatzungsmächte, die freimaurerischen, die Papst und Bischöfe in ihrer Hand haben, die Bischöfe, die sich in Beschwichtigungen ergehen, die ihre Ruhe haben wollen und um ihrer satten Ruhe willen zu allen Mitteln greifen und vor keinem üblen Mittel zurückschrecken, wie wir es jetzt erst wieder erfahren dürfen, die haben ungeheuer wertvolle Gefährten - leider auch in den Kreisen derer, die treu zum althergebrachten Glauben halten. Das sind diejenigen, die meinen, man dürfte nicht so scharf sein, Objektivität sei immer gepaart mit einer milden, versöhnlichen und etwas sanften, moderierten und wohltemperierten Weise zu reden. Das sind die Leute, die offenbar niemals die Reden des Herrn im Johannesevangelium gelesen haben. Das sind die Leute, die niemals im Evangelium, in den Apostelbriefen genau hineingeschaut haben. Da finden sie nämlich keine lahme, lendenlahme, wohltemperierte, moderierte, tolerante, humane Sprache, so nach dem Karnevalsmotto: "Allen gut und niemand weh" -das ist nicht das Motto der Heiligen Schrift. Denn die tut weh, die schneidet und schlägt zu mit den stärksten Ausdrücken und was schwarz ist, ist schwarz, was pöbelhaft ist, ist pöbelhaft, was gemein gemein, was käuflich ist, ist käuflich, und was wahr ist, ist wahr, und was göttlich ist, ist göttlich.

Denn unsere Todfeinde sind nicht die, die sich als solche klar zu erkennen geben. Unsere Todfeinde sind nicht diejenigen, die auf einer anderen Seite stehen. Das sind Feinde, gewiß, aber keine Todfeinde. Sie können dir und mir und deinem ewigen Schicksal nichts anhaben. Dein Todfeind ist auch nicht das Waldsterben, nicht die Umweltvergiftung und auch nicht die Atomgefahr, das alles ist nicht dein Todfeind.

Dein Todfeind ist derjenige, der im Namen des Herrn auftritt und nur das von Christus herausnimmt, was ihm paßt und das andere wegläßt. Oder der zahme Konservative, der die letzte Konsequenz meidet und der dir damit das letzte herrlichste Glück raubt. Denn das letzte herrlichste Glück besteht darin zu erfahren: Hier ist Autorität, hier ist vorgegebene himmlische Wirklichkeit, hier manifestiert sich, verwirklicht sich Gott im Fleische, im Papst, im Bischof, im Priester. Hier sagt Er das Wort, das allumfassende, das deine Seele erlöst, hier, vor dir, unabhängig von dir, dich nicht brauchend, erhebt sich groß, der menschgewordene Gott, der Seine Fleischwerdung fortsetzt im Getauften, im Gefirmten, aber unmittelbar im Priester - und nach dieser Autorität sehnt sich der Mensch. Und wenn jetzt einer tausendmal behauptet, er sei gläubig, aber dieses liturgische, sakrilegische Gewimmel im falschen Gehorsamswahne mitmacht, dann zerstört er und verwirrt er die Seelen und entfremdet sie ihrem wahren Glück und löscht in ihren Seelen die einzig beglückenden Fähigkeiten des Staunens, des Hinhörens und der Ehrfurcht aus - und das sind die Feinde.

"Teil der Wahrheit" ist ein innerer Widerspruch. Teilwahrheit ist dasselbe wie Irrtum. Wahrheitsfülle ist ein Pleonasmus. Zur Wahrheit gehört die unteilbare Fülle. Wer nur ein bißchen oder einen Teil oder einen Großteil von der Wahrheit hat, der hat eben die Wahrheit ganz und gar nicht, und es wäre besser für alle, wenn er wenigstens bekennen würde, daß er der Wahrheit widerspricht. Wir können nicht mit solchen uns zusammen tun, die einen Großteil der Wahrheit akzeptieren. Dadurch, daß sie einen noch so großen Großteil der Wahrheit akzeptieren, verneinen sie eben die Wahrheit total, denn die Wahrheit ist ganz oder gar nicht - das ist die Gewißheit.

Und darum muß die Welt uns hassen, weil wir im Angesicht der Welt als anmaßend gelten müssen - wehe uns, wenn uns die Welt nicht für anmaßend halten muß!

Wir aber nehmen, du und ich, es auf uns, als anmaßend zu gelten. Wehe uns, wehe dir, wehe mir, wenn dich, wenn mich die Welt nicht haßt und wenn wir nicht ungeschützt vor den Millionenhaufen der sinnlos Lebenden als Anmaßende und Hassenswerte verfolgt und gehaßt werden! Darum zieht die Glacehandschuhe aus, zieht die weichen Pantoffeln aus, sagt klar: "Du bist im Irrtum. Du mußt herübergeholt werden, dort[hin] wo unverdienterweise ich hingestellt bin. Und wo ich hingestellt bin, da ist die Fülle, weil Gott da ist mit Seinem ganzen Anspruch. Wo aber dieser Anspruch entschärft wird und als billige Ware verkauft wird, wo man meint, so'n bißchen vorsichtig sein zu müssen, dort ist Sekte. Aber hier, wo der Anspruch vermeldet wird, ist die katholische Kirche aufbewahrt und aufgespart in ihrem gültigen Erscheinungsbild durch die, die nicht kapituliert haben. Das ist das, was wir diesem Jahrhundert, dem Nihilismus dieses Jahrhunderts, vor allem unseren Todfeinden, den Halb-und-halben, entgegenrufen und entgegenschleudern, mit dem brennenden Wunsch, das Schicksal des Herrn zu teilen, gehaßt zu werden von der Welt, gehaßt zu werden von den allermeisten. Und wir sagen es: "Halte du mich für anmaßend, ich behaupte, im Besitze der vollen, ewigen, gültigen, beglückenden Wahrheit zu sein.