Meilenstein im Leben der Kirche?

Laut KNA hat Papst Franziskus am vergangenen Sonntag aus Anlass des 50. Jahrestages der ersten päpstlichen Messe in der Volkssprache die Liturgie in der Titelkirche von Kardinal Kasper Ognissanti im Südwesten von Rom gefeiert. In der Tat hatte Papst Paul VI. am 7. März 1965 genau in dieser Kirche zum ersten Mal den Gottesdienst auf Italienisch zelebriert.

Bei dieser Gelegenheit pries Papst Franziskus die Volkssprache als eine „große spirituelle Hilfe"; sie belebe die Verbindung der Menschen zu Gott neu. Die Liturgiereform nach dem II. Vatikanischen Konzil sei ein Meilenstein der Kirche. Eine authentische Liturgie sei vor allem eine Quelle des Lebens und des Lichtes für unseren Glaubensweg.

Inmitten des Zusammenbruches des Gottesdienstes und des Glaubenslebens überhaupt reibt sich der wache Katholik ob solcher Behauptungen die Augen und fragt sich, ob er träume. Dann aber muss er zugeben, dass er bei wachem Bewusstsein ist und angesichts erdrückender Tatsachen die Worte des Obersten Hirten eher von Wunschdenken und Schönreden, auf jeden Fall von Realitätsverlust zeugen. Machen wir diese unsere Behauptung erstens qualitativ und zweitens quantitativ fest:

1. Qualitativ

Schon 1969 schrieben die Kardinäle Ottaviani und Bacci in ihrem Vorwort zu der kurzen kritischen Untersuchung des neuen „Ordo Missae", dieser stelle „mit seinen neuen, verschieden interpretierbareren Elementen. die damit indirekt oder ausdrücklich deutlich werden, sowohl im Ganzen wie auch in den Einzelheiten ein auffallendes Abrücken von der katholischen Theologie der hl. Messe dar, wie sie in der 22. Sitzung des Konzils von Trient formuliert wurde." Wir haben es also mit einem Bruch und nicht mit einer Erneuerung zu tun.

a. Die Liturgie ist wesentlich theozentrisch, das Opfer der hl. Messe ein Opfer des Lobes, der Danksagung, der Sühne und der Bitte. Sie hat auch belehrenden Charakter, aber eben erst an zweiter Stelle. Man kann in der neuen Liturgie, welche die Belehrung an die erste Stelle setzt, die Mitarbeit von sechs protestantischen Pastoren in ihrer Erarbeitung nicht verkennen.

b. In der neuen Liturgie wird die anthropozentrische Wende (Mensch im Mittelpunkt) eingeleitet, die schleichende Abwendung von Gott und die sinnfällige Hinwendung zum Menschen, charakteristisch dargestellt im Volksaltar, von dem Papst Pius XII. in der Enzyklika Mediator Dei vom 20. November 1947 noch sagt, es weiche vom rechten Wege ab, „wer dem Altar die alte Form der Mensa, des Tisches, wiedergeben wollte".

c. In derselben Enzyklika sagte Papst Pius XII. zur Volkssprache in der Liturgie folgendes: „Ganz zu verurteilen ist aber das vermessene Unterfangen jener, die mit Absicht neue liturgische Bräuche einführen (...). Dass dies vorkommt, geliebte Söhne und ehrwürdige Brüder; und zwar nicht nur in unbedeutenden Dingen, sondern auch in solchen von sehr großer Tragweite, haben Wir nicht ohne bitteren Schmerz erfahren. Es gibt tatsächlich Leute, die bei der Darbringung des hochheiligen eucharistischen Opfers sich der Volkssprache bedienen.“ Er bezeichnet dann die lateinische Sprache als „ein allen erkennbares und schönes Zeichen der Einheit und eine mächtige Schutzwehr gegen jegliche Verderbnis der wahren Lehre." Dazu haben alle Völker zu allen Zeiten sich im Kult einer besonderen Kultsprache bedient, um im Gottesdienst aus dem profanen Bereich und dem Alltagsgeschehen herauszutreten.

d. Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., schrieb in der Gedenkschrift für Klaus Gamber 1989 die bedenkenswerten Worte: „An die Stelle der gewordenen Liturgie hat man (nach dem Konzil) die gemachte Liturgie gesetzt. Man ist aus dem lebendigen Prozess des Wachsens und Werdens heraus umgestiegen in das Machen. Man wollte nicht mehr das organische Werden und Reifen des durch die Jahrhunderte hin Lebendigen fortführen, sondern setzte an dessen Stelle – nach dem Muster technischer Produktion - das Machen, das platte Produkt des Augenblicks.­

e. Tatsächlich hat die Liturgie nach dem II. Vatikanischen Konzil und insbesondere mit dem Novus Ordo Missae ihren sakralen Charakter weitgehend verloren. Der Begriff des Opfers musste dem Gedanken eines brüderlichen Mahles weichen, die herrlichen alten Opferungsgebete wurden durch einen jüdischen Tischsegen ersetzt. Damit verlor die Liturgie ihren prägenden Charakter für ein christliches und gottgeweihtes Leben, das immer auch ein Opfergang ist. Charakteristisch für diese Entsakralisierung und Profanierung, für den Verlust des Geistes der Anbetung sind die stehende Kommunion und die Handkommunion.

Zu all diesen Übeln gesellen sich noch unzählige Missbräuche und Auswüchse wie etwa die Faschingsmessen oder Jugendmessen mit Chips und Coca Cola. Damit hat sich das Glaubensleben beim christlichen Volk immer mehr verdünnt, denn es gilt nun einmal der alte gewichtige Spruch: Das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens.

2. Quantitativ

Wundert man sich deshalb, wenn der Gottesdienstbesuch nach dem II. Vatikanischen Konzil rasant abgenommen hat? Dazu einige Zahlen: Zur Konzilszeit praktizierten in Deutschland noch 50 % der Katholiken; heute sind es noch 10 %. 1970 gab es in Deutschland 26.089 Priester, heute sind es noch ca. 14.000. 1970 gab es in Deutschland pro Jahr 320 Priesterweihen, heute sind es knapp 100. 1970 lebten und wirkten hier in Deutschland 82.166 Ordensschwestern; 1998 waren es noch 41.257; im Jahre 2011 nur noch 20.202. Das gleiche gilt für die Ordensbrüder: 1970 waren es 4.363; im Jahre 2011 waren es noch 1.207. 1970 zählte man in Deutschland 2.630 Seminaristen, heute sind es noch 650. 1970 gaben sich 165.924 Paare vor dem katholischen Geistlichen das Jawort fürs Leben; 1998 waren es noch 81.416; heute sind es noch ungefähr 44.000.

Was ist also aus der großen spirituellen Hilfe geworden? Die Liturgiereform ist in der Tat ein Meilenstein im Leben der Kirche, aber nicht für die Erneuerung des Glaubenslebens, sondern der Schwindsucht und des Konkurses. Fügen wir noch an, dass die Liturgiereform nicht unschuldig ist am Verlust des Geheimnisses der Catolica, der Kirche als dem mystischen Leib Christi. Sie hat die Bewegung hin zu Nationalkirchen mit Loslösung von Rom begünstigt.

Schlussfolgerung:

Die Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern, heute dringender notwendig denn je, kann nur aus einem tiefen Glaubensleben heraus erfolgen, das aus den Quellen der Heiligkeit der überlieferten Liturgie schöpft und sich nährt.

 

Quelle: St. Athanasius Bote, Nr. 25 / Juni 2015, 88492 Riedlingen