Der letzte Papst

Malachi Martin

Kapitel XIII

Nicholas Clatterbuck änderte sich nie. Ob er nun Gäste aus dem Vatikan oder andere Besucher während dieser einzigartigen Sitzung in Straßburg betreute oder ob er Tag für Tag als Leiter von Benthoeks Zentrale in London die weit gestreuten Aktivitäten lenkte - er war immer derselbe. Stets etwas großväterlich wirkend, aber immer mit einer eigenartig anmutenden Autorität.

Selbst der nachmittägliche Berufsverkehr in der Upper West Side von New York City konnte ihn nicht aus der Ruhe bringen. Dr. Ralph Channing und die anderen würden zweifellos in Channings Domizil, Cliffview House, auf ihn warten. Aber nicht einmal Clatterbuck - nicht einmal der Teufel persönlich -konnte etwas gegen den Müllwagen unternehmen, der den Riverside Drive entlangkroch, oder gegen den hupenden Autoverkehr, der sich dem Lastwagen ab der 96. Straße in nördlicher Richtung anschloss.

»Hier ist es, Fahrer«, forderte Clatterbuck seinen Chauffeur mit der üblichen freundlichen Stimme auf hinter den Limousinen anzuhalten, die schon in zwei Reihen geparkt hatten. »Halten Sie hier an.«

Cliffview. Der Name war auf einer Messingplatte eingraviert, doch der Engländer beachtete das Schild kaum, als er das dreizehngeschossige Wohnhaus betrat. Er kannte diesen typischen Jahrhundertwendebau, ebenso seinen Besitzer. Tatsächlich kannte Cliffview fast jeder, dem New Yorks Upper West Side vertraut war - wenn nicht vom Namen her, dann doch wegen seiner charakteristischen Dachtraufe und der Glaskuppel, von welcher aus man den Hudson River überblicken konnte.

»Ah, Clatterbuck, mein Verehrtester.«

Die raue Stimme, die Nicholas begrüßte, als er sich zu den anderen in dem Penthouse-Studio gesellte, war unverkennbar wie alles, was zu dieser Stimme gehörte: der völlig kahle Kopf, die hohe Stirn, die stechenden blauen Augen, der Ziegenbart, die Kraft seiner Autorität und seiner Unbeirrbarkeit, der sich weder Clatterbuck noch irgendein anderer der Anwesenden jemals hatte entziehen können. All das gehörte zu Dr. Ralph S. Channing.

»Entschuldigen Sie die Verspätung, Professor. Der Berufsverkehr hat mich aufgehalten.«

»Sie kommen gerade richtig. Wir haben uns eben über Sie unterhalten. Ich habe allen erzählt, wie erfolgreich Sie und Bent-hoek bei der Sitzung letzte Woche in Straßburg waren. Doch ich habe wohl auch einiges aufgerührt. Unser französischer Kollege hier ist der Meinung, dass der gesamte römische Vorschlag in extremster Weise geschmacklos sei.« Channing setzte sein Weinglas auf den marmornen Beistelltisch neben seinem Stuhl ab und taxierte jeden Einzelnen seiner elf Kollegen, bis seine Laseraugen mit einer gewissen Herablassung Jacques Deneuve fixierten. »Deneuve meint, Rom sei eine Jauchegrube, Clatterbuck. Was sagen Sie dazu?«

Clatterbuck nahm sich etwas Zeit, bevor er antwortete. Ein allgemeiner Blick auf die zehn Herren, die es sich, neben Dr. Channing, im Studio bequem gemacht hatten, reichte als Begrüßung aus. Er goss sich noch etwas Wein aus einer der Karaffen auf dem Kredenztisch nach.

»Wieso, selbstverständlich ist Rom eine Jauchegrube«, antwortete er. Seine freundlichen Augen blickten auf Deneuve. »Niemand hier mag Rom, Jacques. Der ganze päpstliche Verein ist eine riesige Müllkippe menschenunwürdiger Pläne und Verschwörungen und unmenschlicher Machenschaften, die von schmuddeligen kleinen Männern mit schmuddeligen kleinen Vorstellungen gelenkt wird. Wir alle wissen das. Aber das ist nicht der Punkt, auf den wir uns konzentrieren wollen. Es hat sich für uns nicht einfach nur eine günstige Gelegenheit ergeben. Vielmehr haben wir jetzt einen Fuß im Vatikan.«

Seine Ausführungen trafen zumindest den Kern, Deneuve war es zufrieden. Sein Stolz war wiederhergestellt. Channing konnte sich auf Clatterbuck verlassen, wenn es darum ging, Wunden zu heilen. Mit dem Weinglas in der Hand begab sich der Engländer in den Kreis der Männer und setzte sich in einen massiven, gepolsterten Ohrensessel. Zwischen ihm und Channing blieb ein dreizehnter Stuhl leer - bis auf eine rote Lederkladde, die auf dem Sitz lag. Dieser Platz blieb stets leer, als sei er reserviert für eine unsichtbare Macht mitten unter ihnen, die der versammelten Gruppe noch mehr Kraft verleihen sollte; eine Macht, die aus der Gruppe mehr als nur die Summe ihrer zwölf Körper und Hirne machte.

Für Clatterbuck war dies schon immer ein angenehmer Ort gewesen, ein herrlicher, geschmackvoller Zufluchtsort - »verraucht und belesen und männlich«, wie Virginia Woolf einst das private Arbeitszimmer eines ihrer Bewunderer beschrieb. Von seinem Platz aus konnte er durch die Fenster die hereinbrechende Dunkelheit und die tausend Lichter auf der anderen Seite des Hudson sehen.

Unvermittelt fand er sich in einem Gespräch über die Weltereignisse, wie es, wann immer sich diese zwölf in Cliffview trafen, ihren geschäftlichen Unterredungen voranging. Clatter-buck brauchte nicht, wie das in Straßburg der Fall gewesen war von Cyrus Benthoek instruiert werden um Näheres über die Mitglieder dieser Gruppe zu erfahren. Tatsächlich wäre Benthoek, obgleich er Channing und einige der anderen Anwesenden schon im Rahmen seiner üblichen Geschäfte getroffen hatte, überrascht gewesen, hätte er all das erfahren, was Clatterbuck über sie wusste.

Oberflächlich betrachtet bildeten Ralph Channings Gäste in Cliffview das Who's Who der Mächtigen und Erfolgreichen dieser Welt. Jacques Deneuve, zum Beispiel, dem sich ob des römischen Vorschlags in Straßburg die Haare gesträubt hatten, galt als Europas wichtigster Bankier. Gynneth Blashford war Englands größter Zeitungsmagnat. Brad Gerstein-Snell galt als dominierende Figur im Bereich internationaler Kommunikationssysteme. Sir Jimmie Blackburn kontrollierte uneingeschränkt den südafrikanischen Diamantenmarkt. Und Kyun Kia Moi beherrschte das fernöstliche Frachtschifffahrtswesen.

Diese fünf Männer allein waren die Königsmacher der neuen Weltordnung. Sie spielten täglich mit Milliarden, die auf den internationalen Geldmärkten von Tokio, London, New York, Singapur, Paris und Hongkong bewegt wurden. Sie waren die tonangebenden Persönlichkeiten, die die Geld- und Warenströme regulierten. Letztendlich bestimmten sie über Leben und Tod einzelner Regierungen und den Wohlstand der Nationen. Nun hätte man annehmen können, dass einem Dr. Ralph Channing in einer solchen Gruppe eher eine Außenseiterrolle zugefallen wäre. Stattdessen jedoch war er eindeutig mehr als nur ebenbürtig. Er entstammte einer alteingesessenen Hugenotten-Familie aus Maine und hatte an der Universität von Yale vergleichende Religionswissenschaften und Theologie studiert. Er ar berühmt für sein enzyklopädisches Wissen über die Geschichte der Tempelritter, die Tradition des Heiligen Grals und des Freimaurertums - insbesondere über den Ordo Templi Orientis, dem OTO oder Tempel des Ostens. Bekannt war auch sein Archiv verschiedenster Gruppen, die sich mit humanistischen Lehren befassten. Als ordentlicher Professor an einer sehr angesehenen amerikanischen Universität hatte er sich, dank einer respektablen Liste von Büchern, Schriften, Artikeln, Vorlesungen und Seminaren, weltweiten Einfluss erworben. Wegen seiner fundierten geschichtlichen Kenntnisse und seiner Fähigkeit die Religionsgemeinschaften als soziokulturellen und politischen Faktor in der Welt zu würdigen war er in bestimmten Kreisen sehr hoch angesehen. Er war von der Washingtoner Administration mit der - im Übrigen erfolgreichen - Planung des Bildungsministeriums beauftragt worden und er fand darüber hinaus auch noch Zeit Jahr für Jahr zwei Monate im Ausland zu verbringen, wo er als Berater für verschiedene humanistische Organisationen in Europa und im Fernen Osten tätig war.

Daher war es nicht von Bedeutung, dass Ralph Channing weder Bankier noch Reeder war. In dieser Gruppe gab es niemanden, der seine Führungsqualitäten hätte anfechten wollen - oder können.

Was diese zwölf Männer tatsächlich verband, hatte in Wirklichkeit nichts mit dem Bankgewerbe, dem Schifffahrtswesen oder dem Diamantenhandel zu tun. Alle hatten sie im Übermaß vom "folg gekostet und jeder Einzelne hatte ein anderes Ziel vor Augen gehabt. Und jeder von ihnen hatte herausgefunden, dass der Dienst am Fürsten dieser Welt das einzig wirklich befriedigende Ziel war. Jeder hatte die Prüfungen des Feuers, des Schmerzes und des Todes bestanden. Sie hatten das Siegel des letzten Wortes in ihrer Seele empfangen. Alle waren sie Geweissagte. Das war die einigende Kraft in Cliffview House.

Obwohl die Hingabe an den Fürsten die alle einigende Eigenschaft von Ralph Channings kleiner Runde in Cliffview war, hatte ihre Hingabe nichts zu tun mit einer ziegenhaften Gestalt mit spitzen Ohren und gespaltenen Hufen, die zudem wie ein Stinktier riecht. Jeder dieser Männer hatte schon lange festgestellt, dass die Realität ganz anders aussah. Was jeder hier herausgefunden und wem sich jeder ganz verschrieben hatte das war eine Intelligenz, die allem Menschlichen weit überlegen war. Ihre immer innigere Verwicklung in den Prozess hatte ganz spezielle Formen angenommen. Ausgerechnet diesen Männern - und niemandem sonst - war es möglich geworden, die charakteristischen Eigenschaften dieser höheren Intelligenz im Prozess wahrzunehmen, sich dieser Intelligenz in jeder nur erdenklichen Weise zu unterwerfen und so dem Weg der Geschichte zu folgen.

Niemand würde je eine der in Cliffview anwesenden Personen als böse betrachten, jedenfalls nicht nach heutigem Verständnis. Ein Händedruck jedes Einzelnen hier war so wertvoll wie ein Vertrag. In politischen Dingen verhielten sie sich korrekt, das heißt, sie neigten nie zu Extremen. In sozialer Hinsicht waren sie anerkannt; das bedeutete, dass sie ihre humanitäre Haltung und ihre philanthropische Großzügigkeit unter Beweis gestellt hatten. Und was die eheliche Treue betraf, so hielten sich alle an die gültigen Normen der Wohlanständigkeit.

Am allerwenigsten aber hätte sie wohl irgendjemand einer Verschwörung verdächtigt. Diese zwölf Männer bewegten sich innerhalb der anerkannten Grenzen demokratischer Freiheiten um ihre hehren Ideale durchzusetzen. Zugegeben, die Gruppe genoss gewisse Vorteile, wie sie den wenigsten vergönnt waren. Der überwältigende Erfolg jedes Einzelnen machte es der gesamten Gruppe möglich, sowohl im sozialen als auch im politischen Bereich auf allerhöchster Ebene zu operieren. Aber ihre Macht und der Erfolg waren nicht ihre größte Stärke.

Ihre eigentliche Überlegenheit, und das würde jeder von ihnen bestätigen, hatte eine einzige Wurzel: die Hingabe eines jeden Einzelnen an den Geist als solchen, an jenes Wesen also, das sie den Fürsten nannten. Die Überlegenheit, die ihrem beharrlichen Streben entsprang, schien ihnen unendlich zu sein. Die einfache Tatsache, dass ihr Interesse nicht mit dem der großen Religionen einherging, bedeutete, dass sie in einer viel universelleren Weise zu denken vermochten als ein Jude, Christ oder Moslem - dass sie also toleranter und auch humaner waren.

Ihr zweiter Vorteil war ihre Fähigkeit den Prozess zu verstehen. Ihre besonderen Qualifikationen erhoben sie in den Rang von Meisterkonstrukteuren. Sie wussten, dass sie zu den wenigen Privilegierten zählten, die die übermenschliche Qualität und das Maß an Fortschritt, die im Prozess am Werke waren, jemals zu verstehen vermochten.

Ihre Stellung erlaubte ihnen auch zu verstehen, dass der Prozess nicht die Angelegenheit einer Generation oder eines Jahrhunderts ist. Und obwohl sie inzwischen so hoch über der Tag für Tag, Jahr um Jahr voranschreitenden Arbeit des Prozesses standen, dass sie das wahre Gesicht jener Intelligenz erkannten, die hinter dem Prozess stand, akzeptierten sie doch die Tatsache, dass der Großteil der Menschheit - darunter auch die meisten Anhänger und Sympathisanten auf den unteren Ebenen -den Prozess nur in seinen Auswirkungen wahrnahm.

Für sie als Meisterkonstrukteure war von Bedeutung, dass sich diese Auswirkungen ständig veränderten. Der Prozess musste sich stetig auf das letzte Ziel zubewegen. Theoretisch war das eme Art Kettenreaktion, für die die Gesellschaft das Reaktionsgefäß darstellt.

So gesehen müsste die Evolution und damit der Prozess mehr-und mehr akzeptiert werden, mehr und mehr respektiert werden, mehr und mehr als unvermeidlich angesehen werden.

»Nun, meine Herren.« Wie ein Hammer, mit dem man eine Sitzung zur Ordnung ruft, beendete Ralph Channings raue Stimme die Gespräche. »Lassen Sie uns zum entscheidenden Punkt kommen.« Wie jeder wusste, war der entscheidende Punkt die Verlesung des kategorischen Berichts. Aber erfahrungsgemäß würde Channing zunächst einige Vorbemerkungen anbringen.

»Wie einige von Ihnen schon vermutet haben, basieren die endgültigen Weisungen des kategorischen Berichtes auf der bedeutenden Sitzung, die diesen Monat in Straßburg stattgefunden hat. Unser Nicholas Clatterbuck hat eine Zusammenfassung dieser Sitzung für Cyrus Benthoek aufgestellt. Ich hoffe, meine Herren, dass Sie, wenn Sie erst die Bedeutung der in Straßburg vorgeschlagenen Allianz verstanden haben, für unsere Vorschläge umso empfänglicher sein werden.

Einige Vertreter des Vatikans haben in Straßburg anscheinend nicht überblickt, wie weit die von ihnen eingebrachten Vorschläge tatsächlich reichen. Wer hätte auch davon zu träumen gewagt, dass die Heraufkunft der Regentschaft des Fürsten etwas erforderlich machen würde, was der kategorische Bericht die >Phase der Religion< in der Entwicklung hin zur Gemeinschaft der Nationen nennt? Man kann die Religionsgemeinschaften nicht einfach zugunsten okkulter Praktiken verurteilen und übergehen. Sie alle sind selbstverständlich Teil des Prozesses. Wir erkennen jetzt, dass die Religion eine Manifestation des Geistes darstellt.«

Es kam etwas Unruhe auf, aber niemand wollte Channing als einem Experten von Weltrang in Sachen Weltreligionen widersprechen. »Ja, ich gebe zu, es ist eine irregeleitete und missgestaltete Manifestation, aber - und darauf bestehe ich - es ist in der Tat eine Manifestation. Ein fortschrittlicher Geist im Menschen bedeutet Fortschritt in der Religion - und Fortschritt, wie wie wir wissen, führt immer vom Besonderen und Lokalen zum Universellen. Mit anderen Worten, es muss - einfach weil Religionen existieren - logischerweise eine Phase der Religion im evolutionären Prozess der Menschheit geben. \

/Vir müssen verstehen, dass wir heute mit einer neuen Phase in diesem evolutionären Prozess konfrontiert sind. Es ist die letzte Phase! Es ist die Schöpfung einer wahren Weltreligion, die Vernichtung aller Nationalismen, Partikularismen und Kulturalismen der Vergangenheit. In seiner letzten Phase verlangt dieser evolutionäre Prozess nach einem Mechanismus, in dem die Phase der Religion so umgestaltet wird, dass sie dem Globalismus - der Universalität - dieser neuen Ordnung gerecht wird. Indem wir den Prozess unterstützen, ist es unser Bestreben uns der Unterstützung der großen Religionen dahingehend zu versichern, dass sie allesamt zu einer universellen Vereinigung finden - zu einer universellen Religion, bei der man die eine Religion nicht von der anderen unterscheiden kann. Die perfekte Dienerin der neuen Ordnung der Zeiten! Stimmen Sie mir zu, meine Herren?« Channing lächelte in die Runde lächelnder Gesichter.

»Wenn wir das verstanden haben - sogar wenn man Jacques Deneuves Auffassung zustimmt, Rom sei eine Jauchegrube -, wuss eine weitere Tatsache einleuchten: Wenn wir die Phase der Religion der Menschheit zum Gipfel ihrer Evolution bringen wollen - bis zum völligen Aufgehen in den Prozess -, dann aussen wir die Rolle des römischen Katholizismus berücksichtigen. Nein« - Channing unterbrach seine Einleitung, blickte auf die rote Lederkladde, die auf dem dreizehnten Stuhl lag, und erichtigte sich sofort - »vielmehr müssen wir die Rolle des päpstlichen Katholizismus im Allgemeinen und die des päpstlichen Amtes im Besonderen berücksichtigen.

Und jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, an dem der kategorische Bericht verlesen werden kann«, schloss Channing, beugte sich zu dem leeren Stuhl neben ihm, um die Lederkladde aufzunehmen und reichte sie Nicholas Clatterbuck. Clatterbuck las den Bericht mit weicher, angenehmer Stimme vor.

»Folgendes ist der kategorische Bericht, in dem der, den man den >Schlussstein< nennt, die unbedingt notwendigen Maßnahmen zusammenfasst, die das Konzilium der 13 angesichts der bevorstehenden Heraufkunft des Fürsten dieser Welt ergreifen muss.«

Als hätte man einen Schalter betätigt, verkehrte dieser erste Satz die Stimmung in Dr. Channings Studio ins Surreale. Selbst aus Clatterbucks Mund wirkten des »Schlusssteins« Worte wie dunkler Samt, wie ein Schleier, gewoben aus vergangenen Errungenschaften und gegenwärtigen Hoffnungen. Die Lippen der Zuhörer verzogen sich zu einem Lächeln, das nichts Heiteres hatte - einem Lächeln des Todes, freudig empfangen und von neuem voller Ungeduld erwartet.

»Dank der rituellen Inthronisation des Fürsten, vollzogen von den Dienern der inneren Phalanx in der Zitadelle des Feindes, haben Sie immer gewusst, dass Sie das Privileg genießen in der Zeit der Ernte zu dienen um den endgültigen Triumph des Fürsten der Welt zu befördern. Der Augenblick ist gekommen, da uns die Pflicht auferlegt ist die Kräfte des Feindes in seiner eigenen Festung in unseren Dienst zu nehmen.

Bei dieser Gelegenheit möchten wir Sie daran erinnern, dass uns ein Zeitraum von fünf bis sieben Jahren gegeben ist, bevor wir die uns durch die Inthronisation zuteil gewordene Überlegenheit eingebüßt haben. Das ist unsere unumstößliche Überzeugung.« Angesichts einer solchen Warnung warfen alle Mitglieder des Konziliums - auch Clatterbuck - einen verstohlenen Blick auf Dr. Channing. Doch dessen Autorität genügte, um alle Beteiligten mit einer einzigen Handbewegung zu beruhigen. Die Lesung wurde fortgesetzt.

»Nachdem die Dringlichkeit unserer Verpflichtung geklärt ist, möchten wir hinzufügen, dass der uns zur Kenntnis gelangte Zeitraum - fünf bis sieben Jahre - ausreichend sein wird, allerdings nur unter zwei Voraussetzungen. Erstens müssen wir eine realistische Einschätzung des uns noch verbliebenen Hindernisses vornehmen. Und zweitens müssen wir ebenso realistisch bei der Beseitigung dieses Hindernisses vorgehen. Zunächst das Erste: Das älteste und hartnäckigste Hindernis -und eigentlich das einzige, das allseitigen Respekt und Schutz genießt -, das der Herankunft im Wege steht, war und ist bis zum heutigen Tage das römisch-katholische Papsttum.« Clatterbuck befand sich jetzt wieder auf vertrautem Terrain. Seine Stimme klang ausgeglichen, angenehm fürs Ohr und emotionslos im Ton.

»Lassen Sie uns dabei zuvor festhalten, dass wir Autorität an sich nicht infrage stellen. Ganz im Gegenteil, es muss Autorität geben. Doch lassen Sie uns ebenso festhalten, dass Autorität nicht mit persönlicher Unfehlbarkeit und persönlicher Repräsentation des Namenlosen einhergehen kann. Diese personalisierte Autorität ist uns fremd - und letztlich unseren Interessen abträglich -, weil sie der Herankunft abträglich ist. Wir aber fühlen uns der Herankunft verpflichtet.

Einige Werkzeuge des päpstlichen Büros können ohne weiteres als Instrumente zur Beförderung der Heraufkunft übernommen werden. Trotzdem steht uns mit dem Papsttum selbst ein Hindernis im Weg, welches wir zu fürchten haben. Es stellt eme tödliche Bedrohung dar, denn bei diesem Papsttum haben wir es mit einer gefährlichen Realität zu tun, einer Realität des Geistes, einem Brocken Andersartigkeit, die einzigartig ist. Diese Realität ist unvereinbar mit dem Voranschreiten der neuen Weltordnung, wie wir sie vor Augen haben; und damit ist sie unvereinbar mit der Herankunft, deren Künder wir sind.

Wir sollten uns daran erinnern, wie unverwüstlich das Papsttum in der Vergangenheit gewesen ist. Man kann das Amt selbst mit Korruption jeder Art vergiften. Man kann seine Inhaber vom Rest der menschlichen Rasse isolieren. Man kann sie auslöschen - sanft oder mit Gewalt, heimlich oder vor den Augen von Millionen. Aber niemand hat dieses Amt je vernichten können Nichts und niemand.

Dieser Fels von Andersartigkeit muss, da er sich als so wirkungsvoll und ausdauernd erweist, seine Kraft, seine Stärke und seine Fähigkeit zur Wiederherstellung aus einer Quelle schöpfen, die uns völlig fremd ist. Sie müssen von etwas herrühren, das uns, dem >Schlussstein<, und der Herankunft fremd ist. Sie müssen auf den Namenlosen zurückgehen. In diesem kritischen Moment unseres Feldzugs müssen wir, die wir vom Geist erfüllt sind, uns bewusst machen, dass wir gegen die Realität des Geistes ankämpfen, gegen einen widrigen Geist zwar -dennoch gegen den Geist.

In dieser letzten glorreichen Phase der Heraufkunft muss unser gemeinsames Handeln gegen den Hort des Widerstands gerichtet sein, der unserem Ziel entgegensteht. Folgerichtig behandelt unser kategorischer Bericht die eine entscheidende Frage: Was kann gegen das personifizierte Papsttum in seiner verstockten Beharrlichkeit unternommen werden?

Unsere Antwort zwingt uns zu einer völligen Umkehr unserer Strategien. Oder besser, unsere Strategien müssen auf einer Ebene ausgetragen werden, die nicht einmal Sie, die Mitglieder des Konziliums, je für möglich gehalten haben. Wir haben betont, dass das päpstliche Amt respektiert, gefürchtet und geschützt wird. Allerdings, das haben wir ebenfalls festgestellt, können wir nicht länger in der Defensive verharren. Statt uns gegen die Macht dieses Amtes zu schützen, werden wir von ihm Besitz ergreifen.

Unsere unumstößliche Entscheidung - das Ziel unseres Zeitplans für die fünf bis sieben uns günstigen Jahre, die uns bleiben - muss folgendermaßen aussehen: Wir müssen das päpstliche Amt in all seiner Beharrlichkeit für uns gewinnen. Und dafür müssen wir sicherstellen, dass dieses Amt mit einem Mann besetzt wird, der sich zuverlässig unseren Vorstellungen unterwirft. Wir möchten nun die wenigen Möglichkeiten darlegen, wie wir dieses Ziel erreichen können. Es gibt im Grunde nur drei: Überzeugung, Liquidierung, Rücktritt.

Betrachten wir zunächst die Überzeugung: Damit ist die Möglichkeit gemeint, den gegenwärtigen Inhaber des Amtes selbst zu einem solchen Entgegenkommen und solcher Billigung zu bewegen, wie es unser eingeschworenes Vorhaben verlangt. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass nach dem einmütigen Urteil unserer eingeweihten Experten - darunter Mitglieder der Phalanx, die in unmittelbarer Nähe des Papstes residieren -der jetzige Inhaber niemals die Weisheit unseres Vorhabens erkennen wird.

Wir haben aber auch nicht die Zeit zu warten, bis er dahinscheidet. Auf der Grundlage statistischer und persönlicher Gesundheitsdaten müssen wir davon ausgehen, dass der jetzige Inhaber weitere vier bis sieben Jahre am Leben bleibt. Bleiben wir bei unserer unumstößlichen Überzeugung, wonach uns ein begrenzter Spielraum von nur fünf bis sieben Jahren zur Verfügung steht, so müssen wir uns den beiden anderen Optionen zuwenden: der Liquidierung oder dem Rücktritt des gegenwärtigen Inhabers des Papstamtes,

Praktisch gesehen kann jede dieser beiden Optionen das Ergebnis bringen, welches uns vorschwebt, und uns die Möglichkeit verschaffen, einen neuen entgegenkommenden Amtsinhaber einzusetzen. Wie so oft bei wichtigen Unternehmen ist der scheinbar schwierigste Schritt - die Einführung eines uns geneigten Innhabers - auch in unserem Fall der leichtere. Wir brauchen niemandem in diesem Konzilium zu erklären, dass wir uns dank der zunehmenden Anzahl von Anhängern unserer inneren Phalanx in einer ausgezeichneten Lage befinden. Daher werden wir den gegnerischen Geist nicht etwa nur zwingen, ein uns geneigtes Haus von seiner Gegenwart zu befreien, nur damit er sich in ein anderes, uns ebenso geneigtes Haus begibt. Davon haben wir überhaupt nichts.

Nein, der Kandidat, der den gegenwärtigen Amtsinhaber ersetzen soll, wird mit unseren Zielen vertraut sein, er wird mit dem Vorhaben vollkommen einverstanden und sogar bereit sein diese Ziele durchzusetzen.

Daher muss die Möglichkeit einer Beseitigung im Mittelpunkt unserer dringlichsten und unermüdlichen Überlegungen stehen. Die erste der beiden Alternativen, mit der dies erreicht werden könnte, wäre die befriedigendste. Oberflächlich betrachtet wäre es die einfachste Art und deswegen auch die verlockendste. Wir meinen die persönliche Liquidierung.

Sollte eine schnelle und offen durchgeführte Liquidierung für uns selbst von Nachteil sein, könnte man sich fragen, ob es nicht gemäßigtere, aber dennoch effektive Möglichkeiten einer Liquidierung gäbe. Wir wissen von konkreten Plänen, die auf eine schrittweise und vorsichtige Liquidierung hinauslaufen. Aber all diese Pläne werden durch die Sicherheitsvorkehrungen, die das päpstliche Büro seit 1981 eingeführt hat, erheblich verkompliziert; diese Schutzmaßnahmen sind derart umfassend und detailliert, dass sogar die gesamte Nahrungsaufnahme kontrolliert wird.

Die bloße Tatsache, dass es solche Pläne gibt, ist ein hinreichender Grund, warum wir nicht selbst derartigen Versuchungen erliegen sollten. Es gibt auf der Welt keine Geheimnisse. Letztlich wird alles verraten, alles wird aufgedeckt, alles wird bekannt. Vergessen wir nicht, dass wir es mit dem Geist zu tun haben - er ist unbeständig, unberechenbar, wild in seiner Art und, wenn es sein muss, auch zerstörerisch.

Wir haben diesbezüglich ein unumstößliches Urteil gefällt: Wer uns Vorschläge für eine derartige Lösung unterbreitet, reicht uns in Wirklichkeit eine scharfe Handgranate und fordert uns auf den Zünder zu ziehen und uns so in die Selbstliquidierung hinabzureißen.

Daher gibt es nur noch den auserwählten Weg. Die unumstößliche Wahl, die uns zum Erfolg verhilft, wird der Amtsverzicht sein. Kurz gesagt soll der gegenwärtige Amtsinhaber dazu veranlasst werden, von seinem Amt zurückzutreten - und zwar ohne jeden Vorbehalt.

Ein freiwilliger päpstlicher Amtsverzicht wäre für den gemeinen römisch-katholischen Laienstand und die Kirchenleute selbst, die uneinig und zerstritten sind, ein wichtiges Signal. Es wäre nichts anderes als das Eingeständnis einer Niederlage wichtiger Kräfte, die uns im Wege stehen. Ein Amtsverzicht wäre eine Erklärung an die verbliebenen Hüter der alten Ordnung, dass die Vergangenheit nicht mehr wieder zu beleben ist. Das Klima ist bereits so weit gediehen, dass es innerhalb der alten Ordnung Sympathien für unseren auserwählten Weg gibt. Eine offen gehegte Sympathie, dürfen wir hinzufügen, in den strategisch bedeutsamen Rängen.

Wenn wir davon reden, dass der Amtsinhaber zu einem Amts-erzicht bewegt werden soll, dann muss dies auf die unaufdringlichste Art und Weise erfolgen. Dabei sollten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die uns zur Verfügung stehen. Das wirksamste Mittel wird der Druck unumkehrbarer Ereignisse sein sowie das Entstehen mächtiger Kraftfelder. Ereignisse und Kraftfelder müssen so ausgelegt sein, dass der Amtsinhaber in seinen Handlungen eingeschränkt wird. Das Einzige, was ihm dann noch bleibt, ist der Rücktritt.

In dem Bericht, der uns über die von Mr. Cyrus Benthoek geleitete Sitzung in Straßburg vorliegt, weist unser verehrter Nicholas Clatterbuck darauf hin, dass wir potenzielle Verbündete haben, die bislang nicht als sicher galten. Es sind Individuen, die innerhalb der Zitadelle einen sehr großen Einfluss genießen und die sich mit den Mitgliedern der inneren Phalanx zusammengetan haben. Sie waren ebenfalls in Straßburg anwesend. Sie haben betont, dass sie einen radikalen Wechsel auf allerhöchster Ebene der Administration erwarten. Und in ihrem Eifer haben sie uns ihren eigenen globalen Einfluss zur Unterstützung angeboten.

Überdies ist noch eine viel wichtigere Initiative ins Leben gerufen worden, bei der auch wir - wiederum von Cyrus Benthoek -zur Mitarbeit aufgefordert worden sind. Bei dieser Initiative handelt es sich um die Bildung einer engen und systematischen Allianz zwischen praktisch allen kirchlichen Würdenträgern Mitteleuropas und der Europäischen Gemeinschaft. Diese Initiative gilt es zu unterstützen.

Alles in allem ist also der Weg frei, dass der jetzige Amtsinhaber in strikter Übereinstimmung mit dem kanonischen Gesetz der Zitadelle friedlich abdanken kann. Ihre Aufgabe besteht nun darin, die beiden bedeutenden Vorteile, die sich uns bieten, auch zu nutzen. Ihre Aufgabe besteht darin, den Vorschlag von Straßburg in die Tat umzusetzen und die geplante Union zwischen der Zitadelle und der Europäischen Gemeinschaft voranzutreiben-Ihre Aufgabe besteht darin, mithilfe dieser beiden Vorteile die unumkehrbaren Ereignisse und die mächtigen Kraftfelder zu schaffen, dank deren das Papstamt für den namenlosen Anderen putzlos werden und den Dienern des Fürsten in die Hände fallen wird.«

 

Clatterbuck musste seinen Verbündeten nun nur noch den Plan erläutern, wie man die europäischen Bischöfe an die Interessen (ler Europäischen Gemeinschaft anbinden könne. Ein junger talentierter Mitarbeiter der Firma - Paul Thomas Gladstone -sollte den mächtigen Posten des Generalsekretärs beim Ministerrat der EG übernehmen. Gladstones Bruder, Pater Christian Thomas Gladstone, sollte die Verbindung zum Vatikan herstellen. Unter römischer Führung und mit seinem Bruder als Verbindungsmann zu den Kommissaren sollte Pater Gladstone die Bischöfe zu einer professionellen Zusammenarbeit gemäß den Plänen und Zielen der EG führen.

Nicholas Clatterbuck beendete seine Erläuterungen, indem er noch einen allerletzten Punkt betonte. Sowohl die EG-Initiative als auch die Allianz von Straßburg waren im Moment noch abhängig von der Zuverlässigkeit Seiner Eminenz Kardinal Cosimo Maestroiannis. Pater Christian Gladstone war sein Zögling. Zwar war der bald aus dem Amt scheidende Staatssekretär ein sehr guter Freund von Cyrus Benthoek, Cyrus Benthoek wiederum aber kein Mitglied des Konziliums. Und da Benthoek nicht zu den Eingeweihten zählte, durfte seine Einschätzung der Integrität und Zuverlässigkeit des Kardinals nicht als völlig verlässlich gelten. Selbst gewöhnliche Umsicht erforderte es daher, dass einer der ihren den Kardinal unter die Lupe nahm.

Dr. Ralph Channing wollte diese Aufgabe persönlich überneh-men und niemand hatte etwas dagegen einzuwenden. »Um unsere Beziehung zu festigen«, meinte er, »und um die Sache ein Wenig zu forcieren.«

Falls der Kardinal den Test bestünde - das heißt, wenn sein Einverständnis außer Frage stünde und er als getreuer und verlässlicher Verbündeter gelten dürfte -, könnten sich die Dinge sehr schnell entwickeln. Gynneth Blashford erwähnte, dass Clatter-buck problemlos ein Treffen zwischen Cyrus Benthoek, dem Professor und ihrem neuen römischen Freund arrangieren könne. »Die Freunde von Freunden helfen doch eigentlich immer aus, nicht wahr?«

Damit war die Sache erledigt. Wenn alles gut ginge, sollten diejenigen in Rom, die Hilfe für einen radikalen Wechsel an der Spitze der Macht erbeten hatten, mehr bekommen, als die meisten unter ihnen je erhofft hatten.