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Martin Luther - ein Vorbild?

(Text aus dem Würzburger AKW-Info, Februar 2004)

Der "andere" Luther: Sozialrassist, Antisemit, Reaktionär

Martin Luther ist "in": Bei der ZDF-Umfrage nach dem "Größten Deutschen" landete der Reformator auf Platz zwei und in dem Kinostreifen LUTHER wird er als "deutscher Held" verklärt, der das Mittelalter beendete. Daß Luther jedoch wesentliche reaktionäre Elemente der römisch-katholischen Lehre übernahm und sie teilweise noch verstärkte, wird völlig verdrängt. Nicht ohne Grund lobte Adolf Hitler den Kirchengründer schon 1923 als antisemitischen Vordenker.

In dem von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mitfinanzierten Film LUTHER wird anschaulich das Leben des Augustinermönchs Martin Luther (1483-1546), seine Auseinandersetzungen mit inneren (er fühlt sich ständig in Versuchung gebracht durch "den Teufel") und äußeren Anfechtungen (durch geistliche wie weltliche Obrigkeit) sowie die Fehler und Verkrustungen der römisch-katholischen Kirche dargestellt.

 

Kirchenreformator ... und "deutscher Held"?

Auslöser von Luthers Gegnerschaft zur römisch-katholischen Amtskirche war der Ablaßhandel. Der Papst war verschuldet und wollte eine prächtige neue Kirche in Rom bauen, den Petersdom. Das Geld dafür sollten Ablaßprediger beschaffen, die gegen Geld Dokumente verkauften, in denen der Ablaß von Sünden versprochen wurde. Durch Spenden konnte so ein Platz im Himmel "erkauft" werden. Diesen antichristlichen Brauch lehnte Luther genauso ab wie Heiligenverehrung, Zölibat (ursprünglich Ehe-, später auch Sexverbot für den Klerus) und Priesterkult.

Für Heilige, Reliquienkult und fürs Zölibat sah er keine biblische Rechtfertigung, ebensowenig für die Hierarchie zwischen Priestern und LaiInnen. Mit der Übersetzung der Bibel ins Deutsche, die Sprache der gewöhnlichen Menschen, schuf er die Grundlage für das Priestertum aller Gläubigen sowie für das moderne Hochdeutsch. Luther kämpfte gegen den römisch-katholischen Klerus und Zentralismus, ersetzte ihn allerdings durch die Vergötzung weltlicher Herrschaft. Dem Hedonismus der kirchlichen Obrigkeit stellte der Reformator seine radikale Ablehnung jeglicher Fröhlichkeit und Freiheit entgegen.

An diesen zwei Beispielen wird die Zwiespältigkeit Luthers deutlich, der meist einen Fehler durch einen anderen ersetzte, z.B. die Macht der Päpste durch die der Fürsten. Dennoch leistete er einiges für die Reformation der Kirche, was in dem Film einleuchtend erklärt wird. Äußerst ärgerlich jedoch ist die starke Verklärung Martin Luthers. Er wird als "deutscher Held" porträtiert, der durch seinen Widerstand gegen das reaktionäre Papsttum in Rom und die Herrschaft der Priesterkaste über die Gläubigen angeblich das Mittelalter beendete und die Aufklärung nach Deutschland brachte.

 

Unbändiger Haß auf "das andere"

Daß Luther aber wesentliche reaktionäre Elemente der römisch-katholischen Lehre übernahm und sie teilweise sogar noch verstärkte, wird dabei ausgeblendet. Wer in der sozialen Hierarchie unten stand oder von gesellschaftlichen Normen abwich, zog sich den unbändigen Haß Luthers zu. Die Ermordung oder totale Auslöschung von Menschengruppen macht die grauenhafte "Qualität" seines Denkens aus. Seine sozialrassistischen Ansichten über Frauen, Atheisten, Bauern und Behinderte, sein eliminatorischer Antisemitismus, nicht zuletzt seine totalitären Ansichten über weltliche Herrschaft rückt der Film in mildes Licht oder verdreht sie gar ins Gegenteil.

So meinte der Reformator, es sei ein "gerechtes Gesetz", "Zauberinnen" (d.h. "Hexen") zu töten, denn "sie richten viel Schaden an". Behinderte bezeichnete Luther als "wahre Teufel" und wollte sie in der Gosse ersäufen. In LUTHER hingegen hilft er mehrmals einem behinderten Kind. Auch für Ehebrecher forderte Luther die Todesstrafe. Über Frauen äußerte sich der Reformator - im Gegensatz zur freundlichen Darstellung im Film - sehr abwertend: "Der Tod im Kindbett ist nichts weiter als ein Sterben im edlen Werk und Gehorsam Gottes. Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur [...], sie sind darum da."

 

Vergötzung von Tyrannenherrschaft

In den Bauernkriegen ab 1524 bezogen sich die Aufständischen bei ihrer Rebellion gegen die ausbeuterische Fürstenherrschaft positiv auf Luther. Zudem unterstützte der Reformator Thomas Müntzer (um 1489-1525) die Bauern. Luther jedoch stellte sich klar auf die Seite der Reaktion: "Es ist besser, dass alle Bauern erschlagen werden als die Obrigkeiten und zwar deshalb, weil die Bauern ohne Gewalt von Gott das Schwert nehmen: Deshalb gebührt den Bauern keine Barmherzigkeit, keine Geduld, sondern der Zorn und Unwillen Gottes."

Der Reformator erging sich regelrecht in geistigen Gewaltorgien: "Steche, schlage, würge hie, wer da kann [...] Bleibst Du darüber tot, wohl dir, einen seligeren Tod kannst du nimmer mehr erlangen." Diese Haltung ist keineswegs nur dem Wunsch Luthers zuzuschreiben, das schreckliche Morden auf beiden Seiten zu stoppen. Vielmehr zieht sich die einseitige Vergötzung weltlicher Obrigkeit wie ein roter Faden durch Luthers Werk. So verteidigte er sogar Tyrannenherrschaft: "Es ist besser, wenn Tyrannen hundert Ungerechtigkeiten gegen das Volk verüben, als dass das Volk eine einzige Ungerechtigkeit gegen die Tyrannen verübt."

Indem er jegliche Fürsten- und Königsdespotie als von Gott gegeben darstellte, schuf Luther eine der geistigen Grundlagen für den blutigen Absolutismus. Bis heute konnte sich die protestantische Kirche in Deutschland nicht von ihrer starken Bindung an die weltliche Obrigkeit lösen. Dies ist sicher eine der wesentlichen Ursachen, warum der protestantische Klerus die meisten Verbrechen der Herrschenden mittrug - ob im Absolutismus, im deutschen Kaiserreich (mit dem preußischen König als Vorsitzendem der preußischen Landeskirche!), unter dem nationalsozialistischen Terrorregime oder aktuell mit der Unterstützung des radikalen Sozialabbaus und deutscher Angriffskriege.

 

Vordenker der Judenvernichtung

Am übelsten wütete Luther gegen Juden. Zu Beginn seiner dubiosen Karriere bekämpfte er noch den Antijudaismus. Als jedoch seine Judenbekehrungs-Versuche scheiterten, entwickelte er sich zum glühenden Judenhasser. Auf Luthers rassistischen, eliminatorischen Antisemitismus berief sich 1923 sogar Adolf Hitler ("Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck [...] sah er den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen") und noch am 29. April 1946 verteidigte sich der Herausgeber des antisemitischen Hetzblatts "STÜRMER", Julius Streicher, bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen mit Luther. "Die Juden sind ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes Ding, dass sie 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind": Diese Luther-Worte kommen der STÜRMER-Parole "Die Juden sind unser Unglück" tatsächlich verblüffend nahe.

Der christliche Antijudaismus beschränkte sich bis Luther meist darauf, Juden zwangszutaufen bzw. ihnen gegen einen Übertritt zum Christentum Freiheit von Verfolgung und Benachteiligung zu versprechen. Luthers Antisemitismus hingegen war völkisch-rassistisch. Er wollte die Juden ausrotten, egal ob konvertiert oder nicht: "Ich will meinen treuen Rat geben. Erstlich, daß man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke, und was nicht verbrenne, mit Erde überhäufe und beschütte, daß kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich [...] Zum anderen, daß man auch ihre Häuser zerstöre."

"Siebtens soll man den jungen, starken Juden und Jüdinnen Flegel, Axt, Spaten, Rocken und Spindel in die Hand geben und sie ihr Brot verdienen lassen im Schweiße des Angesichts." Diese Forderung nach Konzentrationslagern zur Verwertung und Vernichtung von Juden wurde schließlich durch die Nazis in die Tat umgesetzt. Zur gleichen Zeit wie Luther warb hingegen der christliche Humanist Erasmus von Rotterdam (1469-1536) für ein liberales Christentum und legte damit eine der Grundlagen für die modernen Konzepte von Demokratie und Menschenrechten. Selbstverständlich verwarf Luther derartig "ketzerische" Gedanken aufs heftigste.

 

Noch immer Vorbild?

Angesichts der eindeutigen Fakten ist unverständlich, warum die protestantische Kirche den üblen Demagogen Martin Luther weiter als Vorbild verkauft, z.B. in einer Unterrichtsbroschüre zum LUTHER-Film für die Klassen 7-13. Hubertus Mynarek, einer der prominentesten Theologen und Kirchenkritiker des 20. Jahrhunderts, schreibt in seinem Buch "Die neue Inquisition": "Nach heutigem Rechtsverständnis war Luther ein Krimineller, den der Staatsanwalt sofort verhaften ließe wegen Volksverhetzung (§130 StGB), Anstiftung zum Mord (§§26,211), [...] zum Landfriedensbruch (§§26,125) und [...] zu schwerer Brandstiftung (§§26,306)." Die eindringlichen Teufels-Heimsuchungen im Spielfilm LUTHER lassen den Kirchengründer sogar als Psychopath erscheinen. Wenn die protestantische Kirche (Ersatz-)Heilige benötigt - den Heiligenkult hatte Luther bekanntlich ebenso radikal abgelehnt wie eine "lutherische" Kirche -, sollte sie besser den protestantischen Humanisten und Reformator Philipp Melanchthon (1497-1560) würdigen.

 

Michael Kraus