11. Von rechter Nachfolge des strengen Lebens Christi - Teil 1

Es kann einem schon angst und bange dabei werden: dass unsers Herrn Jesus Christi Wandel und auch der Heiligen so gar streng und mühevoll gewesen, und man selber darin nicht eben stark ist noch sich sonderlich dazu getrieben fühlt! Und wenn sich nun die Leute hierin so unzulänglich finden, so achten sie sich wer weiß wie fern von Gott, als welchem sie nicht könnten nachkommen. Das soll man nicht! weder um einer Verfehlung oder Schwachheit willen, noch sonst worum. Denn gesetzt auch, arge Verfehlungen hätten dich dermaßen ausgetrieben, dass du unmöglich dich Gott nahe setzen kannst: so sollst du doch Gott dir nahe setzen. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, wenn der Mensch einen Abstand setzt zwischen sich und Gott. Denn ob der Mensch sich auch entfernt oder nähert, Gott geht doch niemals fern, er hält sich immer in der Nähe, und kann er nicht drinnen bleiben, so kommt er doch nicht weiter als vor die Tür.

Und so nun steht es mit der Strenge der Nachfolge. Zunächst musst du dir darüber klar werden, wozu du von Gott am allerdringendsten gemahnt seist. Denn wie Sankt Paulus sagt: alle Menschen sind mitnichten auf einen Weg zu Gott gerufen! Findest du nun, dass dein nächster Weg nicht geht in vielen äußern Werken und großer Mühsal und Entbehrungen  - woran so schlechtweg auch gar nicht groß liegt, es fühle sich denn einer sonderlich von Gott dazu getrieben und besitze die Fähigkeit, solches ohne Beirrung seines Innenlebens durchzuführen (und habe die maht solchs ze tuon) – findest du solches nicht in dir, so bleib du ganz in Frieden und nimm es dir nicht weiter an!

So möchtest du sprechen: „Liegt denn nichts daran, warum denn haben’s unsere Vorfahren und viele Heilige so gehalten?“

So bedenkt: unser Herr hat idasshnen diese Weise gegeben, aber auch die Kraft, die dazu gehört, sie ohne Wanken durchzuführen: darin sollten sie zu ihrem Heile kommen. Aber Gott hat des Menschen Heil nicht gebunden an eine sonderliche Weise: was die eine leistet, dies Vermögen hat Gott allen guten Weisen gegeben, keiner ist es versagt! Denn ein Gutes ist nicht wider das andere. Daran sollten sich auch die Leute klarmachen, wie unrecht sie tun, wenn sie etwann einen vortrefflichen Menschen kennen lernen, oder hören von ihm erzählen, der aber nicht ihrer Weise anhängt – so heißt es: alles verlorene Mühe! Weil ihnen deren Methode nicht gefällt, gleich muss es auch mit ihrer Gesinnung nicht weit her sein. Das ist nicht recht! Man soll andrer Leute Weise achten – auch eine gute Übung das! – und niemandes Weise schmähen. Ein jeder halte sich an seine gute Weise und ziehe dahinein alle andern und eigne mit ihrer Hilfe sich auch die Vorzüge der andern an. Wechsel der Weise ergibt ein unstät Wesen und Gemüt (wandelung der weise machet ein unstet wesen und gemüte). Was die eine dir geben kann, das kannst du auch mit der andern erreichen. Unmöglich können doch alle Menschen nur einem Wege folgen! Das gilt auch von der Nachfolge des strengen Lebens mancher Heiligen, die es sehr hart gehalten haben mit Bußübungen (solicher heiligen, die ser hart gewesen sint in penitenzien). Diese Weise sollst du hochschätzen und mag dir wohl gefallen: ohne dass du ihr doch folgen darfst.

Nun möchtest du sprechen: „Unser Herr Jesus, der hatte doch gewiss die höchste Weise; dem tun wir gut nur immer nachzufolgen!“

Schon recht! unserm Herrn sollen wir billig nachfolgen. Aber doch in allen Stücken nicht! Christus hat vierzig Tage gefastet: es wird sich wohl niemand übernehmen, ihm darin nachzufolgen. Er hat viele Werke getan, bei denen ihm an geistiger, nicht an buchstäblicher Nachfolge lag! Man muss sich also Mühe geben, wie man ihm vernünftig könne nachfolgen. Denn er hat mehr auf unserer Gesinnung sein Netz gespannt als auf unsere Werke. Immer müssen wir seinem eigentlichen Sinne folgen. Wie! das musst du dir in jedem Falle besonders überlegen! Wie ich oft gesagt habe: ich achte ein geistiges Werk für viel förderlicher als ein körperliches.

„Wie das?“

Christus hat vierzig Tage gefastet. Darin folge ihm, indem du wahrnimmst, wozu du am leichtesten neigst: da entsage und halt dich in guter Hut. Das frommt dir mehr, dich unbekümmert zu erhalten, als ob du strengstens fastetest von aller Speise. So ist dir’s manchmal schwerer, ein Wort zu verschweigen, als ob man überhaupt schwiege von aller Rede, und fäll’s einem manchmal schwerer, eine kleine Schmähung, auf die nichts ankommt, zu vertragen, wogegen ein wuchtiger Schlag, auf den man sich eingestellt hat, einem leicht vorkäme. Schwerer ist es, allein zu sein unter der Menge, als in der Einsamkeit; schwerer auf Kleines zu verzichten, als auf Großes; oder ein geringes Werk zu vollbringen, als eines, das man für bedeutend hält.

So kann einer wohl unserm Herrn nachfolgen nach dem Maße seiner Schwachheit und braucht, ja darf nicht glauben, er reiche da nicht an. – Freilich darfst du bei deiner „Weise“ nicht beworren sein mit Speise und Kleidern, als die zu deinem Heil gehörten! Sondern gewöhne deinen Grund und dein Gemüt, dass es darüber erhaben sei.

„Und warum?“

Nun, das wär doch eine schwache Innerlichkeit, der das äußerliche Kleid aufhelfen müsste: das Innere soll dem Äußern aufhelfen! Soweit es dabei nur auf dich ankommt: ist dir aber ein anderes Los gefallen, so magst du aus deinem Grund heraus auch das für gut nehmen, in der Weise, dass du dich darein schickst: wär dir aber das Gegenteil beschieden, dass du auch dieses dir gerne wolltest gefallen lassen. Ebenso mit der Speise, mit Freunden und Verwandten oder was dir Gott sonst geben oder nehmen mag: immer acht ich’s für das beste, dass man sich großherzig Gott überlasse, mag er auch auf uns werfen Schande, Mühsal und welches Leid es sei: dass man das freudig und dankbar hinnehme und lasse sich lieber von Gott führen, als dass man sich selber darauf versetze.

Entsprechend in allen Dingen lernet willig von Gott und folgt ihm nach, so wird es mit uns recht! In solcher Gesinnung kann man unbeschadet Ehre annehmen und Gemach: nur dass man, fiel Ungemach und Unehre auf uns, auch die zu tragen gern erbötig wäre! Im vollen Bewusstsein des Rechts daher mögen die sich gute Speise gönnen, die ebenso geschickt und bereit wären zu fasten.

Das ist wohl auch der Grund, falls einmal Gott seine Freunde der großen Leidensprobe überhebt, anders könnte seine maßlose Treue das gar nicht zulassen. Eben weil gar solch großer Segen im Leide liegt und es doch nicht seine Art ist, mit guten Dingen zu kargen: er lässt sich auch hier genügen am guten Willen! Sonst ließ er ihnen kein Leid entgehen! Wenn sich aber Gott damit begnügt, so sei auch du es zufrieden. Und wenn ihm ein anderes behagt mit dir, so ebenfalls!

Nur um diesethalben lässt der getreue Gott es zu, dass manchmal auch seine Freunde in Schwachheit fallen: damit ihnen aller Halt abgehe, darauf sie sich stützen oder verlassen könnten. Dann natürlich wär’s einem eifrigen Menschen ein großer Triumph, wenn er etwas recht Erkleckliches vermöchte, sei’s im Wachen, Fasten oder anderm, sonderlich in großen und schweren Dingen – eine große Genugtuung ist ihnen das und ein Steuer und eine Hoffnung. Womit denn ihre Werke ihnen einen Halt geben und eine Zuversicht! Das will unser Herr ihnen benehmen, er will, dass er alleine ihr Anhalt und ihr Zuverlass sei. Und das einzig nur aus seiner einfaltigen Güte und Barmherzigkeit. Denn bei Gott bedarf es für sein Tun weiter nichts als seiner Güte: nicht etwa tragen unsere Werke dazu bei, dass Gott uns etwas gebe, etwas tue. Deswegen will unser Herr, dass seine Freunde den Ihren entfallen, und zu diesem Zweck löst er sie los von jenem Anhalt, auf dass er alleine ihr Halt sein müsse. Denn er will ihnen Großes geben, und zwar einzig um seiner freien Güte willen: er soll ihr Enthalt und ihr Trost sein, sie aber sollen als ein lautres Nichts sich finden und achten angesichts aller der großen Gaben Gottes. Denn je gelöster und lediger das Gemüt sich auf Gott wirft, von ihm sich tragen lässt, je tiefer man in Gott gesetzt und aller der köstlichen Gaben Gottes umso empfänglicher wird. Der Mensch also baue allein auf Gott.

Denn innerlich sollte der Mensch so mit Gott geeint sein (inwendig gote so geeint sin) in allem seinen Wollen, dass er sich erst gar nicht groß abzugeben brauchte mit Weisen noch mit Werken. Und sonderlich meide alle Sonderlichkeit, sei’s in der Kleidung, der Speise, der Rede, wie hohe Worte zu gebrauchen oder absonderliche Gebärden, womit ja weiter nichts geschafft ist. – Doch sollst du wissen, dass keineswegs dir alles Sonderwesen verboten ist. Es gibt viel Sonderliches, das man manches Mal und bei manchen Leuten einhalten muss. Denn wer ein Besonderer ist, der muss auch Sonderliches tun zu vielen Malen auf vielerlei Weise.

Inwendig also sollen wir in jeder Hinsicht uns eingebildet haben in unsern Herrn Jesus Christus, so dass man in uns einen Abglanz finde aller seiner Werke, seiner ganzen Gottgestalt: wir müssen es in uns tragen, in so vollkommener Annäherung als nur möglich, sein ganzes Tun. An dir ist es nun, zu leisten, an ihm zu empfangen: tu du dein Werk aus aller deiner Versunkenheit, aus deiner innersten Gesinnung! Dazu gewöhne dein Gemüt zu aller Zeit, bis du (zu aller zit, unz daz) in allem deinen Tun in ihm dich spiegeln darfst.