15. Von der Selbstentäußerung - Teil 1

Ein Mensch, nehmen wir an, ziehe sich in sich zurück mit allen seinen Kräften, inneren wie äußeren. Damit befindet er sich in einer Verfassung, wo es in ihm kein Vorstellen noch sonst eine Einengung mehr gibt. Zugleich aber steht er ohne jede Betätigung (an einic werc) innerlich und äußerlich.

Da soll man wohl wahrnehmen, ob sich einem irgend ein Tun von selber darbiete. Spürt man aber keine Lust, sich an ein Werk zu machen und sich’s anzunehmen, so werfe man sich mit einem Ruck hinein in irgend eine Tätigkeit, gleichviel, ob eine inwendige oder auswendige!

Denn nie soll man sich, mag er noch so gut scheinen und auch sein, an einem Zustande genügen lassen, sobald man sich dabei genötigt sieht zu Härte und Gewaltsamkeit gegen sich selber. Wo denn doch auf einen eher die Bezeichnung passt, man werde getan, als: man tue. Auf dass man hier ein Mittun lerne mit seinem Gott.

Nicht als ob man damit seiner Innerlichkeit entgehen, entfallen oder ihr absagen müsse: sondern in und mit und aus ihr muss man zu wirken lernen derart, dass man die Einigkeit entlade in die Wirklichkeit und die Wirklichkeit einleite in die Einigkeit, und so gewohnt werden, in Muße tätig zu sein. Auf dieses Tätigwerden von innen her muss man das Auge richten und von da aus bewirken sein Lesen, Beten oder, ob es gebührt, ein äußeres Werk. Will jedoch das äußere Werk das innere zerstreuen, so halte man sich an das innere. Könnten sich aber beide zusammenfinden, das wäre das beste. Damit man ein Mittun hätte mit Gott.

Eine Frage: „Wie soll man da ein Mittun haben, wo man sich selber und aller Betätigung entfallen ist?“

Antwort: Ein Tun bleibt einem jedenfalls zu eigen, ein sonderbares allerdings. Ein Vernichten seiner selbst! Doch geht auch die eigene Vernichtung und Selbstauslösung nie so weit, Gott muss auch das in sich zu Ende bringen, sonst hapert es damit. Dann erst erlangt dieses Sichdemütigen den nötigen Grad von Vollkommenheit, wenn Gott uns demütigt, durch uns selber. Damit erst genügen wir uns selber und dem Anspruch der Tugend, und nicht eher.

Frage: „Wie kommt Gott dazu, den Menschen, gar durch ihn selber, zu vernichten? Es scheint, dies Sich-selbst-vernichten des Menschen wäre von Gottes Seite nur ein Erhöhen? Wie es im Evangelium heißt: wer sich erniedrigt, der soll erhöht werden.“

Antwort: Ja – und nein! Er soll sich „erniedrigen“: und eben das gelingt ihm gar nicht hinlänglich, Gott tue es denn! Und er soll „erhöht werden“! Nicht als ob dies Erniedrigen eines sei und das Erhöhen ein andres: sondern der höchste Gipfel der Erhöhung, der fällt gerade in den tiefsten Abgrund der Erniedrigung. Je tiefer zu Tal, um so höher und gewaltiger geht die Welle zu Berge. Je tiefer ein Brunnen, um so höher kommt sein Wasser: Tiefe und Höhe ist eins! Darum, je tiefer sich einer bringen kann, um so höher ist er. Wie unser Herr spricht: „Wer der Größte sein will, der werde der Kleinste unter euch!“ Es hängt eben eins am andern. Wer der Kleinste geworden ist, der ist nunmehr der Allergrößte. Womit das Wort bewährt und erfüllt wird, des Evangelisten: „Wer sich erniedrigt, der wird erhöht.“