16. Von der Unbedürftigkeit

Nun sprichst du: „Ich fürchte, ich setz nicht genug Fleiß daran und bewahr mich nicht, wie ich möchte!“

Das lass dir leid sein: aber leid es mit Geduld und nimm’s für eine Übung, so wirst du Frieden haben! Gott leidet gerne Schmach und Ungemach und will seines Dienstes und Lobes gern entbehren, damit die in sich Frieden haben, die  (umbe daz die in in fride haben, die) sich ihm widmen und hingegeben sind. Warum also sollten wir nicht Frieden haben, mag er uns geben oder mögen wir entbehren müssen? „Selig die da leiden um der Gerechtigkeit willen,“ so steht geschrieben, unser Herr selber sagt’s. Fürwahr, könnte ein Dieb, den man im Begriff steht zu hängen, der’s auch ehrlich verdient hätte, weil er gestohlen hat, oder ein Mörder, den man eben nach Gebühr entleiben will, könnten die sich in ihrem Gemüte zu der Einsicht hinfinden: „Sieh, du willst es leiden um der Gerechtigkeit willen, da man dir nur recht tut!“ Sie würden ohne Umstände selig. Mögen wir noch so ungerechte Leute sein: nehmen wir von Gott, was er uns tut, als von ihm aus gerecht, leiden wir „um der Gerechtigkeit willen“, so sind wir – selig. Dann aber klage auch nicht! Darüber klage allein, dass du noch klagest. Dass du noch nicht zufrieden bist, darüber beklage dich! Das du zuviel hast! Denn wem recht wär, der empfinge genau so im Darben wie im Haben.

Nun sprichst du: „Ei sieh! Gott wirkt doch so Großes in manchen Leuten, sie werden dermaßen mit göttlichem Wesen überkleidet: Gott handelt in ihnen, nicht mehr sie!“

Da danke Gott von ihnen aus, und gibt er dir’s, in Gottes Namen, so nimm’s! Gibt er dir’s nicht, so musst du eben gutwillig darauf verzichten und alles ihm überlassen. – Beschwer dich auch nicht mit der Frage, ob Gott deine Werke wirke, oder du: Gott muss sie wirken, sobald nur er dein Ziel, mag er wollen oder nicht! Kümmer dich auch nicht darum, welch Wesen oder Weise Gott jemand anderm gebe! Wär ich dermaßen gut und heilig, dass man mich unter die Heiligen erheben müsste, so redeten die Leute und forschten hinter mir drein, ob es „Gnade“ oder „Natur“ sei, was in mir steckt, und kämen nie ins Reine. Wie verkehrt von ihnen! Lass Gott doch schalten in dir, dem gib das Werk; und kümmre dich nicht, ob er’s „natürlich“ oder „übernatürlich“ zuwege bringe! Beides ist, Natur wie Gnade, sein. Was geht’s dich an, womit’s ihm passt zu wirken in dir oder einem andern? Mag er doch sehen, wie und wo und auf welche Weise! Irgendwer hätte gern eine Quelle in seinen Garten geleitet; er sagt sich: damit ich Wasser bekomme, da schiert’s mich nicht im mindesten, welcher Gattung die Rinne ist, durch die’s mir zufließt: ob eisern, hölzern oder beinern, ob rostig oder blank; wenn ich nur Wasser kriege! So tun auch die gar verkehrt daran, die sich damit beschweren: wodurch wohl Gott seine Werke zustande bringt in dir? Ob durch „Natur“ oder durch „Gnade“? Lass ihn nur machen und hab alleine – Frieden!

Denn so weit bist du in Gott, als du im Frieden bist; und so weit außer Gott, als außerm Frieden. Ist etwas in Gott, dasselbe hat Frieden: soweit in Gott, soweit in Frieden.

Daran ermiss jeweils, wie weit du in Gott bist, und andern Falles: wo du Frieden, wo Unfrieden zu suchen hast! Wofern du Unfriedliches hast, muss dir auch notgedrungen unfriedlich sein: Unfriede kommt von der Kreatur, nicht von Gott.

Auch gibt es nichts in Gott, das zu fürchten wäre: alles, was in Gott ist, ist allein zu lieben. Und so gibt es auch nichts in ihm, worüber zu trauern wäre.

Wer allen seinen Willen hat und Wunsch, der hat Frieden. Das hat niemand, denn dessen Wille mit Gottes Willen völlig eins ist. Diese Einswerdung geb uns Gott. Amen.

 

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