7. Vom Segen der Sünde

Wer die Selbstheit hinter sich gelassen, der kann ja eigentlich niemals Gottes missen (gotes gemissen), bei keinem Tun. Geschäh’s aber doch, dass Fuß oder Zunge ihm strauchelte oder sonst ein Ding ihm zu unrecht geriete, ob doch Gott sein Beginn war bei dem Werk: so muss Er wohl oder übel den Schaden auf sich nehmen, doch du darfst darum keineswegs von deinem Werke lassen! Solcher Zwischenfälle wird man in diesem Leben wohl nie ganz überhoben sein. Doch darum, weil etwann auch Ratten unter das Korn fallen, darum soll man das gute Korn noch nicht verwerfen. Vielmehr, wer recht gemutet, und sich mit Gott auskennt, dem gerieten alle solche Prüfungen und Zwischenfälle zu erheblicher Förderung. Denn dem Guten müssen alle Dinge zum Besten dienen – wie Sankt Paulus sagt und ebenso Sankt Augustinus: sogar die Sünde!

Gesündigt haben ist keine Sünde, sobald’s uns leid ist. Zwar darf man Sünde nicht begehen wollen, um alles nicht in Zeit noch Ewigkeit, weder „tödliche“ noch „lässliche“, sondern überhaupt keine. Wer sich auf Gottes Art versteht, der wird sich immer vor Augen halten, dass der getreue huldreiche Gott den Menschen aus einem sündigen in ein göttlich Leben gebracht, aus seinem Feinde ihn zu seinem Freunde gemacht hat – was mehr ist, als eine neue Erde zu schaffen!

Gewiss der stärksten Antriebe einer, den Menschen ganz auf Gott zu stellen und wunder wie zu entzünden in mächtiger Gottesliebe! Aber wer wirklich hereingenommen wäre in den Willen Gottes, der wird auch nicht wollen, die Sünde, in die er gefallen, möge überhaupt nicht geschehen sein (Die Bulle von 1329 erklärte den Satz im Artikel 14 für ketzerisch).

Nicht zwar insofern, als sie etwas Widergöttliches war: sondern sofern du damit zu desto größerer Liebe gebunden und dich durch sie gemindert und gedemütigt fühlst. Denn war deine Tat auch wider Gott gerichtet, so darfst du doch Gotte schon zutrauen, dass er dir so etwas nicht verhängt hätte, er wollte denn dein Bestes daraus ziehen. Wenn dann aber der Mensch sich entschlossen aufrichtet und abkehrt von der Sünde, so tut der getreue Gott, als ob der Mensch nie in Schuld gefallen wär, und will ihn alle seine Sünden auch nicht einen Augenblick entgelten lassen: und wären ihrer mehr, als je die Menschheit aufgehäuft, nie wieder wird ihn Gott etwas davon entgelten lassen, er ist imstande, mit diesem Menschen alle Vertraulichkeit zu haben, die er je einem Sterblichen gestattete. Ob er ihn anders jetzt bereit findet, so sieht er nicht an, was er zuvor gewesen ist! Gott ist ein Gott der Gegenwart: wie er dich findet, so nimmt er dich und lässt dich zu. Er fragt nicht, was du gewesen, sondern was du jetzt bist. Allen Schaden und Schande, die Gott angetan werden durch die Sünde, die will er sich gerne gefallen lassen, jahrelang, nur damit der Mensch hernach zu einer überwältigenden Erkenntnis seiner Liebe komme und Anhänglichkeit und Dankbarkeit bei ihm nur um so stärker, sein Ernst und Eifer nur um so brennender werde, wie das ja billig nach der Sünde zu geschehen pflegt.

Darum hat denn auch Gott das Sündenelend am öftesten gerad über die Menschen verhängt, die er zu großen Dingen hat ersehen wollen. Sieh es doch an: wer war unserm Herrn lieber und heimlicher als die Apostel? Nicht einer bleibt, der nicht gefallen war, alle waren sie Todsünder gewesen! Im alten und im neuen Bunde hat er’s immer wieder bewiesen an denen, die ihm hinterher wer weiß wie nahe standen. Und auch noch hört man selten, dass die Leute es weit bringen, sie seien denn zuerst auf Abwege geraten.

Worin Gott uns seine große Barmherzigkeit zu erkennen geben und uns mahnen will zu rechter Demut und Bedenklichkeit! Denn so oft die Reue sich erneut, wird auch die Liebe mit Macht gesteigert und erneuert werden.