Schweizerische Kirchenzeitung - 2002

Wortmeldung

Abwehr der Dämonen (SKZ 20-21/2002)

 Sehr geehrter Herr Müller

wir erachten es als positiv, dass das Thema Exorzismus in einem offiziellen Organ der Kirche behandelt wird, nachdem es an den Theologischen Hochschulen während Jahrzehnten beinahe systematisch ausgeklammert wurde. Doch erlauben wir uns ­ aus der seelsorglichen Praxis heraus ­ einige Anmerkungen.
Wie antworten Sie auf den Vorwurf freikirchlicher Kreise, dass die Landeskirchen dem Auftrag «treibt Dämonen aus» heute nur noch in äußerst beschränktem Maß nachkommen? Wie setzt die Römisch-Katholische Kirche Lk 9,1 um, wo es heißt: Jesus «gab ihnen die Kraft und die Vollmacht, alle Dämonen auszutreiben und die Kranken gesund zu machen». Ist der ganz selten zur Anwendung kommende Exorzismus schon die Erfüllung dieses Auftrags? Wir müssen Ihnen nicht alle Bibelstellen aufzählen, in welchen von Austreibung der Dämonen gesprochen wird. Wie häufig kommen solche Texte in der Liturgie vor und wie oft versucht man in der Predigt zu vermeiden, die Stellen «fundamentalistisch» auszulegen. Wird man jedoch mit einer symbolischen Deutung diesen Stellen gerecht?
Und wie steht es mit Krankenheilungen in unserer Kirche? Wir finden sie fast ausschließlich in «fundamentalistischen» Kreisen. Was immer der Grund solcher Heilungen ist ­ für die betroffenen Menschen sind sie gültige Erfahrungen! Statt «fundamentalistische Kreise» (ist das ein Fachbegriff oder ein Schimpfwort?) oberflächlich und verletzend anzuprangern, könnte man etwas von ihnen lernen. Vielleicht haben diese Kreise auch eine prophetische Botschaft für unsere Kirche.
Sie schreiben vom Beispiel der Anneliese Michel. Wir denken, es ist enorm wichtig, sich im Rahmen einer theologischen Diskussion nicht auf Sensationsberichte abzustützen, sondern wissenschaftliche Literatur beizuziehen, zum Beispiel das aufschlussreiche Buch von Prof. Dr. Felicitas D. Goodman, welche auf S. 294 zum Schluss kommt, dass letztlich die Verschreibung von Tegretal zum Tod von Anneliese führte. Und selbst wenn sie tatsächlich an den Folgen des Exorzismus gestorben wäre, könnte man niemals a priori auf die Schlechtigkeit desselben schließen. Ansonsten müssten Ärzte und Psychiater ihre Tätigkeiten sofort alle einstellen. Wie mancher Patient stirbt in der psychiatrischen Behandlung? Wie manche Operation endet mit dem Tod? Deshalb darf man ja weder Medizin noch Psychiatrie pauschal verurteilen!
Bedenklich scheint uns auch, den so genannten «Probe-Exorzismus» kategorisch zu verbieten. Gabriele Amorth, ein erfahrener Exorzist mit unzähligen Erfolgen, schreibt, dass manchmal die einfachste Methode festzustellen, ob eine Besessenheit vorliegt, eben der Exorzismus sei.
Und zum Schluss geben wir Ihnen noch zwei Knacknüsse von Einzelfällen aus unserem Bekanntenkreis: Eine Frau hatte plötzliche Ängste und schizophrene Zustände (sie hörte Stimmen usw.). Von zwei Priestern, bei denen eine Freundin von ihr angeklopft hat, wurde sie abgewiesen. Die Antwort war: «Gehen Sie zum Psychiater». Wir sind anhand der Beschreibung des Falls überzeugt, dass sie heute noch in Behandlung wäre. Jedenfalls griff ihre Freundin kurzerhand zum Exorzismus: und mit Erfolg! Die Frau ist von Ängsten und schizophrenen Zuständen befreit! Ob es hier nicht angesagt ist, mangels Erfüllung des Auftrags der «offiziellen» Kirche, den Can. 1752 des CIC geltend zu machen (welcher ja von liberalen Kreisen so gerne zitiert wird).
Der zweite Fall ist ein Mann, der oft zerstörerische Wutausbrüche hatte. Nachdem eine Psychotherapie wegen zu hohen Kosten (und ohne geringsten Erfolg!) abgebrochen wurde, suchte dieser Mann einen Bischof auf, welcher den Exorzismus machte (also einer dieser Exorzismuswallfahrer!). Und siehe, der Erfolg war so groß, dass der Mann selber staunte.
Wie gesagt ­ es ist lobenswert, dass der Exorzismus in der Kirchenzeitung thematisiert wurde. Wir wünschten uns jedoch mehr Unvoreingenommenheit in dieser Sache. Die Einzelfälle müssten genauer untersucht werden, die Erfolge des Exorzismus dürften nicht heruntergespielt werden, und Misserfolge von Medizin, Psychiatrie und Psychologie müssten weit ernster genommen werden. Der Forderung an die Seelsorger, Leute mit krankhaften Erscheinungen an den Arzt, Psychiater, Psychologen weiter zu verweisen, müsste auch eine Forderung in die andere Richtung entsprechen! In der Praxis stösst man zudem auf die Schwierigkeit, Psychiater/Psychologen zu finden, welche die Möglichkeit dämonischer Einflüsse ernst nehmen. Deshalb bleibt die Forderung einer Zusammenarbeit oft frommes Wunschdenken.
Es ist uns sehr wohl bewusst, dass der unsachgemäße Gebrauch des Exorzismus bei labilen Menschen großen Schaden anrichten kann. Ebenso ist es uns aber auch bewusst, dass der «Abschied vom Teufel» und die damit verbundene Unterbindung des Exorzismus weder dem Evangelium noch der Tradition unserer Kirche entspricht. Die betroffenen Menschen werden von der Kirche allein gelassen und in den Bereich der Illegalität gedrängt. Wenn schon so großes Gewicht darauf gelegt wird, dass nur speziell vom Bischof beauftragte Priester den Exorzismus vollziehen dürfen, ist es ein offensichtlicher Missstand, dass ­ wie Sie behaupten ­ in der ganzen Schweiz nur ein einziger Bischof einen Exorzisten ernannt hat. Überhaupt stellt sich die Frage, warum man über solche Leute so hart urteilt, während permanente Verstöße gegen die Liturgischen Regeln (z.B. selbstgemachte Hochgebete, Konzelebration von Laientheologen, Spendung von Pseudo-Krankensalbungen usw.) schon längst zur Normalität gehören.

Dankbar für Ihren Beitrag grüßen wir Sie und bleiben im Gebet verbunden.

Matthias Rey, Pfarrer
Beat Muntwyler, Spitalpfarrer
Elisabeth Stengele, Theologin