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Die erste exorzistische Sitzung

Die Tagebuchnotizen, die sich Pater Renz anfänglich machte, gewähren uns einen schattenhaften Aufriss der ersten exorzistischen Sitzung:

24.9.1975. 16.00 angekommen. Mit dem Exorzismus begonnen nach Vorschrift. Anneliese bzw. die Dämonen verhalten sich zunächst ziemlich ruhig. Anneliese wird geschüttelt, immer stärker. Am stärksten reagieren Anneliese bzw. die Dämonen auf das Weihwasser. Sie fängt an zu brüllen und zu toben.

Anneliese weiß alles. Sie weiß, was sie sagt; sie ist anscheinend immer voll bei Bewusstsein. Keinerlei Amnesie. Kurze Pause. Anneliese wird von den drei Männern: Herr Hein, Peter und Vater Michel gehalten (damit sie weder sich noch andere verletze). Anneliese will beißen, nach rechts und nach links. Sie schlägt mit dem Fuß gegen mich. Manchmal schlägt sie einfach vorwärts. Sie sitzt zuerst auf dem Stuhl, später auf der Couch. Sie darf nicht liegen. Wenn sie sich einmal legt, erhebt sie sich sofort wieder. Sie klagt, dass der Teufel ihr im Kreuz sitzt.

Von Zeit zu Zeit brüllt sie, besonders bei Weihwasser. Manchmal jault sie wie ein Hund. Wiederholt sagt sie: «Hört auf mit dem Dreckzeug!» «Sie Scheißkerl!» «Sie Drecksau!» — « Weg mit dem Dreckszeug!» (Weihwasser). «Hört auf mit dem Dreckszeug!» (Exorzismus). Ansonsten spricht sie sehr wenig. Auch mit den Schimpfworten ist sie sparsam.

Gegen Schluss wird sie ganz wütend beim «Gloria Patri», das wir gemeinsam beten, wiederholt beten. Das Ganze dauert von 16.00 bis 21.30.

Am Schluss, das heißt, hernach, sagte sie: «Jetzt hätte man weitermachen sollen.» Sie hat anscheinend gespürt, dass es den Dämonen an den Kragen geht. Beim Abschied war sie eigentlich recht munter. Das Ganze muss für sie anstrengend gewesen sein. Sie verbraucht viel Kraft, da sie von den drei Männern gehalten wird und doch immer dagegen ankämpft.

Aus der Schlussbemerkung, die Pater Renz dieser Beschreibung hinzufügt, merkt man etwas von dem Bangen, mit dem er an diese, seine erste Teufelsaustreibung heranging: «Ich habe jetzt mehr Mut, nicht mehr Angst, wie zuvor, vor dem Neuartigen und Ungewissen.» Dass er auch enttäuscht war, ist verständlich. Es war kein Teufel ausgetrieben worden, und er begann zu ahnen, dass wohl ein langes und schwieriges Unterfangen auf ihn wartete. «Muss natürlich gegen den Gedanken der Nutzlosigkeit und Erfolglosigkeit kämpfen,» schreibt er.

Die nächste Sitzung war am 28. September, einem Sonntag, und Thea Hein brachte ein Tonbandgerät mit. Das war ein guter Einfall, und Josef Michel holte gleich auch das seinige. Pater Renz überlegte sich das ebenfalls, denn es war ihm schon klar geworden, dass die Dämonen, die aus Anneliese sprachen, bemerkenswerte Dinge von sich gaben. Er dachte aber, es würde wohl reichen, wenn er sich nach den Sitzungen zuhause ausführliche Aufzeichnungen machte. Er stellte aber bald fest, dass dabei nichts herauskam, weil er sich nämlich während des Exorzismus keine Notizen machen konnte. Außerdem war er nicht der unbeteiligte Beobachter, der alle Einzelheiten in sich aufnahm. Er musste den lateinischen Text vorlesen, die gemeinschaftlichen Gebete leiten, Weihwasser sprengen, das Zeichen des Kreuzes über Anneliese machen, ihr eine Stola um die Schultern legen, ihre Stirn im Segen berühren und alles das tun, was während der heiligen Handlung erforderlich war. Er beschloss also, auch Tonbandaufnahmen zu machen. Im Laufe der kommenden Monate sammelten sich über vierzig Kassetten an. Die dämonischen Äußerungen, die ihm am wichtigsten erschienen, fügte er später auf zwei Tonbändern zusammen, um sie Bischof Stangl und anderen Interessenten vorzuspielen. Eine derartige gedrängte Übersicht lässt jedoch den glühenden Teufelstanz, der in dem Hinterzimmer des Michel’schen  Hauses zur Aufführung gelangte, zur Umrisszeichnung eines katholischen Dogmas erstarren. Beim Abhören der ursprünglichen Tonbänder hingegen wird man mit einer unheimlichen Gewalt unmittelbar in das Erleben der Gegenwart einer fremden Wesenheit gerissen, die von Anneliese Besitz ergriffen hatte.

Die sich wie Wellen hebenden und senkenden heiseren Schreie und das wütende Knurren und Fauchen bezeugen, dass es Dämonen sind, die hier im Sinne der katholischen Glaubenslehre auftauchen aus der Finsternis der Welt, aus dem Höllenwirbel des Sündhaften, des Befleckten, des Grausigen. Die Schreie brodeln und schäumen. Wie Blasen, die an der Oberfläche platzen, formen sich ab und zu Wörter und Sätze. Wenn das geschieht, dann spricht der Dämon, die Macht des Bösen ersteht als eigenständige Persönlichkeit. Nicht das Böse spricht, sondern der Böse, und der Böse ist nicht irgend jemand. Er kommt aus dem Heimatdorf, er spricht den heimatlichen Dialekt. Die Mundart ist treffsicher, rauh, der Böse hat «dem Volk aufs Maul geschaut,» wie Luther das nennt. Da gibt es nichts von der Fremdwörtelei und Ausgelaugtheit der städtischen Redeweise. In seinen Kraftausdrücken, in seiner Derbheit, ist dieser Teufel fast mittelalterlich, wie er stets Schimpfwörter wie Arschloch und Scheiße und Drecksau und Aas bereit hat, wie er den priesterlichen Angriffen den Buckel hinhält und sich dann herumdreht und höhnt mit: «Vergiften könnt ich dich!» oder «Sie, Aas, Sie, ich vergift Sie noch!» oder mit einer abscheulichen Lästerung der allerseligsten Jungfrau. Er fängt die lateinischen Formeln auf, ballt sie zusammen und wirft sie zurück wie Kot an den kirchlichen Purpur: «Immaculata . . .» — «Du, mit dene Scheißwort, das konnste dir sparen . . . Das glaubt dir doch ke Sau!» — «Saecula saeculorum . . .» — «Das ist alles net wahr, es steht überhaupt net da!» «Cede-weiche» — «Ich geh net, und wenn du's tausendmal daherplapperst!» — «. . . ut discedas ab hac famula Dei, Anneliese — dass du von dieser Dienerin Gottes, Anneliese, weichest!» — «Nein, die gehört mir, du Aas, die gehört mir, diese Rotznase, ich hol sie mir noch!» Und es ist das Dorf, wie es lebt und webt, wenn er auf die Frage, warum Anneliese besessen sei, antwortet: «Die war noch nicht geboren, da ist sie schon verflucht worden.» Eine Frau hat den Fluch ausgesprochen, aus Neid. Wer war das? Eine Nachbarin der Mutter in Leiblfing. Hat die Frau auch andere verflucht? Störrisch schweigt der Dämon. Peter erzählt, dass Anneliesens Eltern der Sache nachgehen wollten, aber die Frau sei schon gestorben.

Manchmal funkelt der Teufel in satanischem Humor. Der Priester erwähnt einen Märtyrer, der sein Blut vergossen hat, und der Dämon entgegnet: «Der isch a einer von dene Deppe gewee!» Oder als der Priester von der Sancta Ecclesia spricht, kommentiert er: «Beten und glauben nichts . . . Gehen zur Kommunion und halten ihr Pfötchen hin . . . hah! . . . Sach' von mir, dass ihr's bloß wisst!»

Nach einer Weile ist er nicht mehr allein, und es entbrennt ein Streit, wer die Anneliese haben soll, und bald darauf ein verschwörerisches Zwiegespräch, als steckten zwei Teufel die Köpfe zusammen:

«Scheißdreck, nein, ich geh nit, ich steh drauf . . .» und ein markerschütternder Schrei als Bestätigung. Dann im Flüsterton:

«Geh naus!»


«Nein!»

«Doch, du gehst naus!»

«Nein, ich geh nit!»

«Doch, du gehst naus!»

«Nein, ich geh nit naus!» Und dann ein triumphierendes:

«Mir gehet nit naus, mir haltet zusamme!»

Durch die Wiederholung der Formeln pulst der Streit zwischen Priester und Dämon wie im Versfuss einer alten Ballade: Dienerin Gottes, Anneliese . . . nein, mir gehört sie! Du sollst ausfahren ... ich geh net naus! Sag mir deinen Namen . . . nein, ich sag's net! Und inmitten der zahllosen Schreie tönt immer wieder der eine Kehrreim, als winde sich der dämonische Körper in einer züngelnden Flamme: «Auf Ewigkeit verdammt - ohh!» Der Schrei steigt auf zum «E», fängt sich und schwebt, und sinkt dann zum «ooh», ein gespenstisches Leitmotiv, wie aus Mussorgskis Totentanz.

Die Zeugen bei dem teuflischen Spiel, Anneliesens Familie, Peter, Thea Hein und ihr Mann, die Priester, geraten unversehens in die Bahn des Sturmes. Ehe sie sich in Sicherheit bringen können, werden sie vom Wirbel erfasst und über die Grenze geschleudert, die die andere, jenseitige Wirklichkeit von der alltäglichen trennt. So geht es ihnen von da ab stets, wenn sie die Treppe hinaufsteigen und in das Hinterzimmer treten, das auf die stillen Weinberge schaut. Die sehen sie nicht. Sie sind weltenweit von ihrem Zuhause, von dem Sägewerk und dem Büro und dem «Grüß Gott, Frau Michel, die Leber ist frisch heute» entfernt. Dorthin kehren sie erst zurück, wenn Pater Renz am Schluss der Sitzung den letzten Segen spricht. In jener anderen Wirklichkeit wird das Wunderbare zum Alltäglichen. Dämonen kreischen, die Gottesmutter ist nie weit fort. Wie verwunderte Kinder im Land hinter dem Regenbogen schauen sie sich um. Die Dämonen, wie sind die eigentlich? Wenn man es recht bedachte, dann waren sie eigentlich gar nicht so geheimnisvoll, fast wie Nachbarn. Sie sprechen hasserfüllt, aber von bekannten Örtlichkeiten, von Schippach und von San Damiano. Sie schimpfen auf Barbara Weigand. Sie kennen sich in Klingenberg aus und wissen, dass die Leute kaum mehr an was glauben, dass sie Gebet und Heilige Schrift verachten und sich nicht einmal mehr recht vor der Strafe der Hölle fürchten. Die Teufel streiten miteinander, grad wie Nachbarn, sie lügen über sich selbst, über die Gottesmutter, darüber, wann sie endlich ausfahren würden. Und sie sind eigentlich gar nicht so mächtig, weil sie sich ducken vor der heiligsten Jungfrau, die ihnen befehlen kann, so dass sie manchmal sogar gegen ihren Willen die Wahrheit sagen müssen. Vor allem hatten die Teufel Namen, sie waren nicht ohne Gesicht, verschwommen, wesenlos. Der Judas gab als erster zu, wie er heiße. «Nein, du sollst mich nicht bei meinem Namen nennen, nein, ich heiß nicht so!» hat er geschrieen. Dann war Luzifer angekommen und etwas später Nero. «Ich bin der dritte im Bunde!» hat er geknurrt. Abscheulich waren sie, aber als Genannte nicht mehr unnahbar. Es gab eigentlich keinen Grund, warum sie nur von den Priestern befragt werden sollten. Die Gemeinde, meint man, müsste das doch auch können! Die Frauen erdreisteten sich. Meist werden sie mit einem kurzen «Hält's Maul!» abgewiesen, oder mit einem giftigen: «Das geht dich'n Scheißdreck an!» Aber manchmal gelingt es ihnen doch, den höllischen Gästen eine Antwort abzuringen, wie bei der Gelegenheit, als Roswitha dem Judas vorwirft, er wäre schuld gewesen, dass Anneliese das Kreuz zerbrochen hätte. Judas wehrt sich ärgerlich: «Das war Luzifer, der Hund,» knurrt er, «der war es gewesen. Ich hab' nichts gemacht!» Dann melden sich auch die Männer. Sie fragen nichts, aber sie machen Bemerkungen und tauschen Beobachtungen aus. «Als ob der Gestank nicht mehr da wäre,» sagt der eine. «Ich habe das jedenfalls beim Exorzismus nicht mehr gemerkt.» — «Stimmt,» sagt der andere. «Manchmal riecht es fast wie nach Weihrauch.» Roswitha widerspricht: «Mir scheint's mehr nach Rosen!»

Unerwartet werden sie alle gewarnt, dass man sich in diese befremdliche Welt nicht allzu weit hineinwagen darf. Wer neben Anneliese sitzt, fühlt sich plötzlich von einem schweren Gewicht herabgezogen. Es sitzt im Rücken und macht einen steif. Die Männer, die Anneliese zu ihrem Schutz festhalten, merken, wie ihnen die Arme schwer werden, so dass sie dieselben kaum zu heben vermögen, wenn sie Anneliese loslassen. Thea Hein berührt die Besessene und fängt an zu jammern: «Meine Hand! Was ist denn bloß los? die fühlt sich ja ganz komisch an! Helft mir doch . . . meine Hand!»

Es ist beruhigend, dass die Priester immer da sind. Wie der heilige Erzengel Michael, so wissen sie, wie man mit den Dämonen umzugehen hat. Ein kurzer exorzistischer Befehl, und das Gewicht ist fort, die Hand wird wieder frei. Die Priester können es sich sogar leisten, die bösen Geister auf die Probe zu stellen, denn sie sind als Geweihte mächtiger als andere Leute.

Wie damals, als Pater Renz fünf verschiedene, ungezeichnete Fläschchen zur exorzistischen Sitzung mitbrachte, die einen mit Weihwasser von Lourdes und von San Damiano gefüllt, die anderen mit Leitungswasser. Wie die Teufel schrieen, wenn er sie mit dem ersteren besprengte! Das Leitungswasser dagegen tat ihnen gar nichts.

Ein andermal verabredete er eine Probe mit einem Priester in einer anderen Stadt. Der verblüffte Peter berichtet, was geschah:

Eines Abends, der Exorzismus wurde gerade gebetet, schaute Anneliese den Pater Renz provozierend frech an und sagte: «Ich sage aber nichts!» Ich wunderte mich darüber, war sie doch gar nichts gefragt worden. In der anschließenden Pause wollte ich Pater Renz auf diese Merkwürdigkeit hinweisen, als Anneliese von sich aus Pater Renz in der gleichen Angelegenheit ansprach. Pater Renz erklärte zu unserer Verwunderung, mit einem deutschen Bischof vereinbart zu haben, dass jener um sieben Uhr abends den Exorzismus über Anneliese beten solle. Man wollte dann sehen, wie die Teufel aus Anneliese dazu reagierten. Pater Renz sagte, dass Anneliese zum vereinbarten Zeitpunkt um sieben Uhr den Ausspruch getan habe «Ich sage aber nichts».

Wie wichtig war es ferner, dass die Priester so gut in Latein bewandert waren! Denn obwohl die Teufel gut deutsch konnten — sie sprachen es wie die Leute in Klingenberg auch —, so schien es doch, dass sie oft gar nicht genau verstanden, was die Priester eigentlich von ihnen wollten, so als wären sie Touristen in einer Weinstube am Ort. Ans Latein waren sie anscheinend eher gewöhnt, und Pater Renz sorgte dafür, dass sie verstanden, wovon es sich handelte. «Sag mir die Stunde, wann du ausfährst!» verlangte er. Dann wiederholte er seine Frage auf lateinisch: «Die mihi horam exitus tui!» Darauf antworteten die Dämonen manchmal ganz willig. Natürlich nicht immer, denn sie waren tückisch und hartnäckig.

Anscheinend waren die Dämonen auch in der großen Welt herumgestrolcht und hatten dabei mehrere Fremdsprachen gelernt. Pater Renz vermutete das wohl, denn eines Tages fing er plötzlich an, sie auf chinesisch auszufragen. Das gefiel dem Teufel, der gerade mit Reden dran war, schier gar nicht. Das konnte man klar hören aus der Art und Weise, wie er respektlos schrie: «Ich sag' Ihnen gar nichts, Sie Drecksau, Sie verfluchte!» Später brüllte er: «Wenn Sie was fragen wollen, tun Sie's auf deutsch!» Aber leiser fügte er hinzu: «Aber verstehen tun wir's doch.» Und er machte sich noch über den Herrn Pater lustig, indem er das Chinesische nachmachte mit: «Sehe, sehe, sehe, sehe.» Pfarrer Alt versuchte sich mit Französisch und Holländisch. So fragte er: «Ist etwas in dieser Familie, das mit dem Fall zusammenhängt und nicht an die Öffentlichkeit dringen darf? Ganz klar antwortete der Dämon: «Es liegt nichts vor.»

Manchmal machten sich die Dämonen lustig über die Priester. Das konnte fast komisch wirken, wenn es nicht zu gefährlich wurde. So fragte der Pater: «Warum hältst du die Hände über die Ohren?» und nicht faul antwortete der Dämon: «Weil das Gebet so schön ist!» Oder als der Dämon knurrt: «Es knallt im Haus.» — «Macht ihr den Krach?» will Pater Renz wissen. «Ja, wer denn sonst?» höhnt der Böse. Und dann grunzt er und lacht: «He, he, he, he.»

Meistens jedoch kämpfen die Priester mit den Dämonen, und das geschieht in tödlichem Ernst. In regungsloser, furchtsamer Spannung schaut der kleine Kreis um Anneliese dem Lanzenstechen zu. Man war sich natürlich sicher, dass die Priester siegen würden und dass die scheußlichen Plagegeister, die in das Mädchen eingedrungen waren, das Feld schließlich zu räumen hätten. Denn stets siegt das Gute über das Böse. Aber eine Sitzung nach der anderen ging vorbei, und alle sorgten sich. Wenn es nun aus unerfindlichen Gründen diesmal anders ausging, und die Welt, die ganze Welt den bösen Geistern zum Opfer fiel, die sich so hartnäckig gegen die mutigen Priester behaupteten? Würde die Gottesmutter die Oberhand behalten? Sie war immer anwesend, sie beherrschte das Feld, wie die weiße Dame das Schachbrett. Sie konnte Verbündete herbeirufen, wie die Barbara Weigand oder den Pater Pio. Sie hatte die Macht, und bewies das auch oft, die Dämonen zu zwingen, die Wahrheit zu sagen, was ihnen zutiefst zuwider war. Sie umgab die Anneliese mit ihrem Schutzmantel. Aber wer konnte sagen, was zum Schluss Gottes Ratschluss sein würde? Es war offensichtlich, dass die Gegner der allerseligsten Jungfrau auch über große Kraft verfügten. Sie konnten die Zuhörer, ohne etwas zu sagen, schwer ängstigen mit ihrem furchtbaren Gebrüll, mit ihrem Knurr'en und Fauchen. Sie waren hinterlistig und mit Schimpfwörtern verdrehten sie das, was die Priester sagten. Sie hatten außerdem den Vorteil, dass sie durch Anneliesens Augen sehen konnten, wer ihnen zu Leibe rückte. Das konnten die Priester nicht. Sie wussten nur, dass die Dämonen im Mädchen saßen, denn ihr Körper zitterte und zuckte von der höllischen Gegenwart, ihr Gesicht war zur Maske verzerrt, ihr Mund ein Viereck, mit fletschenden Zähnen. Man konnte es ablesen vom Hass, der über ihr Gesicht zog wie Gewitterwolken. «Wie viele seid ihr?» fragen die Priester. «Wir sind zu viert,» kichern sie, dann nennen sie fünf, wo man doch weiß, dass in Wirklichkeit schon sechs angekommen sind, weil sich den ersten dreien Luzifer, Judas und Nero auch noch Kain, Hitler und ein gefallener Priester mit Namen Fleischmann angeschlossen haben. Sie zwingen Pater Renz dazu, wie in einem gespenstischen Blindekuhspiel herumzutasten: «Ich befehle dir im Namen des Vaters, des Sohnes, und des Heiligen Geistes, sage mir, wer du bist!» Schweigen oder ein wütendes Knurren. «Luzifer bist du da?» Noch ein Knurren, dann ein Schrei. «Adolf, Adolf, bist du noch da?» Kreischendes Gelächter. «Fleischmann, was hast du zu sagen?» Ein Gebrüll, dass die Wände wackeln. «Quot (vos) estis? — Wie viele seid ihr?» Nichts zu machen.

Die Dämonen haben es auch darauf abgesehen, die Anwesenden zu betrügen. Sie sagen das Ende der Welt voraus, und dabei weiß man nicht, ob das wirklich eine Botschaft von der Gottesmutter ist, und ob man tatsächlich hingehen soll, um einen Vorrat von Nahrungsmitteln einzukaufen, und ob man das nun den Bekannten weitersagen soll. Und wie sie die Zuhörer reizen mit ihren Versprechungen: «Ja, wir fahren aus, nein, wir tun's nicht, es gefällt uns hier, na, vielleicht nächste Woche,» und immer so weiter.

Allerdings musste man zugeben, dass die Dämonen im Machtspiel den kürzeren zogen. Das konnte man sehen während der vielen Stunden, die der Exorzismus alle zwei bis drei Tage dauerte. Erstens einmal waren die Priester mächtige Kämpfer, jeder auf seine Art. Pater Renz war beständig, geduldig, gewillt, endlos weiterzumachen, streng im Umgang mit den Dämonen, trotz der Güte, die ihm als altem Mann zu eigen war. Pfarrer Alt, der ab und zu auch kam und sekundierte, stritt mit der blanken Waffe. Man zuckte zusammen, wenn er in seiner präzisen Art den Dämonen zusetzte: «Unreiner Geist, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes befehle ich dir, die Wahrheit zu sagen!» Der Dämon wehrte sich wohl mit einem giftigen: «Sie Drecksau, Sie verfluchte, wieso sind Sie überhaupt hier?» oder: «Sie haben nix zu befehlen!»

Der Dämon irrt sich da aber, denn so einfach den Befehl des Priesters missachten, das geht nun doch nicht! Wenn der Priester müde wird und sieht, dass auch Anneliese erschöpft ist, kann er verlangen, dass die Dämonen auf eine Weile ablassen von ihrem Toben:

«Wir machen jetzt eine Pause!»

«Nein!»

«Unruhiger Geist, du willst keine Pause, aber Anneliese braucht sie.»

«Die Rotznase hat überhaupt nix zu wolle.» Aber der Pater bekommt doch seinen Willen. Andersherum geht das aber nicht. Die Dämonen verlangen vom Priester, er solle Anneliese nicht mit dem Rosenkranz zu nahe kommen:

«Tu das Scheißding weg!» Das lässt den Pater kalt:

«Nein, ich tue das nicht weg, weil es dir so gut gefällt!» So reizt er den Dämon. Das geschieht sogar sehr oft: «Du hörst heute wohl schlecht. Komm, sag schon was!» Wie kann sich der Dämon da wehren? Nur mit einem Fluch. Ungestraft kann der Priester ihn beschimpfen, kann ihn den Urheber der Blutschande nennen, den Gotteslästerer, den Lehrer der Ketzerei und mehr, und was kann der Dämon dagegen sagen? Der Priester darf ihn bedrohen mit einer furchtbaren Prophezeiung: «Am Ende der Welt wirst du vernichtet, dein Kopf wird dir zertreten werden!» und der Dämon muss sich ducken. Der Priester kann den Dämon zwischen sich und der Gottesmutter einzwicken wie in einer Zange und kann ihn dadurch dazu zwingen, eine Glaubensformel hervorzustottern: «Sag doch den Namen!» verlangt der Pater. «De, de, de, de ... die allerseligste Jungfrau!» knurrt der Böse wütend. Dann wird er mit ergötzlicher Herablassung gelobt: «So, das hast du schön gesagt!»

Der Priester kann den Dämon zwingen, vergangene Missetaten zu gestehen. Wie er den Bösen ausgefragt hat wegen des Abiturs! «Beim Abitur, da haben wir sie ganz durcheinandergeschafft,» gibt er zu. «Das hat sie nämlich bald nicht mache' könne'. In Deutsch, in der Stunde, wo sie da drinne' gewesen ist, da hat sie nicht gewusst, was hinten und was vorne war!» Zur Verteidigung fügt er hinzu: «Wir haben's aber gedürft.» Ärgerlich ruft Anna Michel dazwischen: «Sie hat's doch gemacht!» Worauf der Dämon: «Die da, die Dame,[1] die hat's gewollt!»

Der Priester bringt es sogar fertig, die Dämonen zu überlisten, so dass sie verraten, was ihnen besonders zuwider ist. Das benutzt er dann mit Vorbedacht gegen sie, wie ein beschlagener Hausherr, der lästige Mieter loswerden will. Die Teufel verabscheuen das Weihwasser, das merken die Zuschauer sofort, und jederlei geweihte Gegenstände. Sie zittern vor dem Namen Jesus, davor, dass man sein Leben «nach dem da» ausrichtet, und vor allem vor dem Gebet. «Beten, dann kann nichts mehr schief gehen, Sie Drecksau, Sie verfluchte, aber das glauben ja zum Glück nit viele!» Sie wollen kein Gebet zum heiligen Erzengel Michael hören, dessen Aufgabe es ist, die bösen Geister, die zum Verderben der Seelen in der Welt umherstreifen, in die Hölle hinabzustoßen. Sie haben Angst, wenn man die heiligen Schutzengel anruft, und brüllen vor Entsetzen bei der Anbetung der heiligen fünf Wunden: «Ich grüße und verehre die heilige Wunde deiner rechten Hand, o Jesus ...» Sie gebärden sich wie wild, wenn es um die fünfte geht: «Ich grüße und verehre die Wunde deines heiligsten Herzens, und in diese Wunde lege ich meine Seele ...» Dies sind alles Dinge, die darum ständig benutzt und wiederholt werden. Damit wird ihnen gedroht; das sind die mächtigen Waffen zur Vertreibung der höllischen Horde.

Es gibt allerdings auch heilige Texte, die die Dämonen völlig kalt lassen. So liest Pater Renz aus dem letzten Buch des Neuen Testaments, der Offenbarung des heiligen Johannes, wo es im 13. Kapitel, Vers 1—2, heißt:

Darauf sah ich vom Meer her ein Tier aufsteigen; es hatte zehn Hörner und sieben Köpfe, auf seinen Hörnern zehn Diademe und auf seinen Köpfen lästerliche Titel. Das Tier, das ich sah, war ähnlich einem Leoparden; seine Füße waren die eines Bären, und sein Rachen wie eines Löwen Rachen.

Obgleich die Teufel, wenn man sie beschimpft, oft wie gereizte Raubtiere brüllen, erkennen sie sich scheinbar nicht in dieser Beschreibung und streiten sich weiter darum, wer nun die Anneliese, dieses verfluchte Weib, behalten soll. Auch das Verlesen einer Stelle aus dem Lukas-Evangelium, 11. Kapitel, Vers 14-15, berührt sie nicht, wo von Jesus erzählt wird:

«Und er trieb einen Teufel aus, der war stumm. Und es geschah, da der Teufel ausfuhr, da redete der Stumme. Und das Volk verwunderte sich. Etliche aber unter ihnen sprachen: Er treibt den Teufel aus durch Beelzebub, den obersten der Teufel ...»

Pater Renz wiederholte diese Texte selten.

Die wirksamste Waffe der Priester gegen die Dämonen war jedoch das Kreuzverhör, das Fragestellen. Hier vermochten sich die Bösen nicht im Geringsten zu wehren, weil sie dabei den Spieß nicht umdrehen konnten. Sie brachten ihre Namen nur mit größter Anstrengung heraus, aber es gelang ihnen doch ab und zu. Aber das Fragen war ihnen völlig unmöglich. Sie sind eben nicht menschlich, sie können nie zu Menschen werden, denn es fehlt ihnen die Fähigkeit, das zu tun, was Menschen tausendmal am Tag tun: sie können nicht fragen. Die Priester greifen sie an mit ihren Fragen, erbarmungslos, unnachgiebig, ständig kehren sie zu den Schlüsselfragen zurück, wie ein geschickter Ankläger bei der Gerichtsverhandlung. Warum waren die da? Wie hießen sie? Wann würden sie ausfahren? Was für Botschaften hatte die Gottesmutter ihnen aufgetragen? Warum waren sie verdammt? Die Fragen tauchen stets von neuem auf, sie sollen die Dämonen ermüden, bis es ihnen hoffentlich eines Tages endlich zu viel wird und man sie austreiben kann.

Es war diese Art von Inquisition, wodurch das zweite Dämonentrio entdeckt wurde, nämlich Kain, Hitler und ein Pfarrer Fleischmann. Kain blieb schattenhaft und schweigsam, und auch Hitler hatte wenig zu der Sache zu sagen. Man hört nur manchmal ein unterdrücktes «Heil! Heil!» auf dem Tonband. Als sich Pater Renz nach Hitler erkundigte, belehrte ihn Judas, der gewöhnlich den Sprecher für die unheimliche Bande machte, der habe nur ein großes Maul, habe aber nichts zu sagen. Für einen Mann, der Millionen mit seinen Reden aufpeitschte, ist das sicher die denkbar schlimmste Strafe! Anneliese erzählte Peter einmal, dass zu der Zeit, als sie noch in Aschaffenburg ins Gymnasium ging, ein Film über Hitler gezeigt worden war. Sie habe die Bilder nicht anschauen können, denn, als sie es einmal getan hatte, überkam sie ein unermessliches Grauen, das sie kaum abschütteln konnte.

Wie jener «Pfarrer Fleischmann» dazu kam, sich dem Dämonenrudel zuzugesellen, ist eine ganz andere Geschichte. Pfarrer Alt erzählt wie folgt:[2]

Als ich nach Ettleben kam, war die Pfarrei in schlechtem Zustand. Zunächst hatte ich die Aufgabe, die Kirche restaurieren zu lassen. Ich suchte in den Pfarrakten nach Unterlagen, die die Baupflicht an der Kirche ausweisen sollten. Ich hatte die Vermutung, dass die politische Gemeinde oder selbst der Staat die Baupflicht an der Kirche habe. In der Pfarrepositur, die noch bis ins Jahr 1646 zurück vollständig und bis etwa Mitte des sechzehnten Jahrhunderts sporadisch erhalten ist und außerdem ein paar Akten aus sehr früher Zeit enthält, entdeckte ich die Akte mit der Liste der Pfarrer, die seit dem vierzehnten Jahrhundert hier in Ettleben gewirkt hatten. Beim Durchblättern dieser Akte stieß ich auch auf einen Fall Fleischmann. Der Name von Pfarrer Valentin Fleischmann war mir noch nie zu Ohren gekommen. Von 1572-1575 war er Pfarrer in Ettleben. Er wurde als «concubinarius» ausgewiesen, war «vino addictus», also ein Säufer, auf deutsch gesagt, war ein «arger Schläger» und hatte vier Kinder. Er habe an einem bestimmten Tag einen Mann in seinem Pfarrhaus erschlagen. Außerdem habe er eine Frau so geschlagen, dass sie über Wochen und Monate beim Bader in Würzburg gelegen habe.

Der Grabstein seiner Tochter Martha ist in die Frontseite des ältesten Hauses von Ettleben eingemauert und, heute noch gut zu entziffern. Als ich im Herbst 1975 während der exorzistischen Phase nach Klingenberg kam, um der Austreibung beizuwohnen, war ich bereits eineinhalb Jahre Pfarrer von Ettleben. Während einer Pause wurde ich von einem der Anwesenden gefragt: «Na, wie geht's denn in Ettleben, nachdem die Kirche restauriert ist?» Wir kamen ins Gespräch und ich sagte unter anderem: «Na ja, in Ettleben hat es immer schon schlimme Pfarrer gegeben. Vielleicht bin ich auch einer von diesen. Jedenfalls hat es einen gegeben, der einen Mann erschlagen hat.» Anneliese saß neben mir. Sie brüllte plötzlich auf, so wie sie es während des Exorzismusgebetes getan hatte. Ich erschrak so sehr, dass mich alle auslachten und der Schrecken mir nach Stunden noch in den Gliedern saß. Etwa vierzehn Tage später hatte ich wiederum Gelegenheit nach Klingenberg zu fahren, weil ich in der Nähe etwas zu tun hatte. Anneliese war daheim. Peter war auch da. Wir unterhielten uns nett. Schließlich sagte ich: «Sie haben mich vielleicht damals mit Ihrem Gebrüll erschreckt. Der Schrecken wich erst nach Tagen. Dass Sie sich so aufregen, wenn der Name Fleischmann fällt!» Plötzlich verzog Anneliese ihr Gesicht zu einer Fratze und begann, obwohl sie heftig dagegen kämpfte, wiederum in der uns allen bekannten Art zu brüllen.

Ich sah dabei zum ersten Male, wie sich Anneliese gegen das wehrte, was sie so unmittelbar überfiel; sie lächelte, verzerrte das Gesicht, lächelte wieder und konnte gerade noch sagen: «Nehmt es nicht so schlimm, ich kann nichts dafür!» Dann brüllte sie los.

Am selben Abend wurde in meiner Abwesenheit der Exorzismus gesprochen, und es meldete sich der sechste Teufel mit Namen Fleischmann, gefallener Priester, Pfarrer in Ettleben gewesen . . . Es wurden von Fleischmann Einzelheiten gesagt, die ich nie erwähnt hatte und Anneliese also unbekannt sein mussten. Es ist seither behauptet worden, Anneliese habe die Chronik gekannt. Ich kann belegen, dass die Chronik zu der Zeit, als der Fall Fleischmann in Klingenberg bekannt wurde, zur Überprüfung beim Archivar der Diözese in Würzburg war. Sie hatte die Chronik nie gesehen und erst recht nie in der Hand. All das kam spontan aus ihr. Es war überraschend für mich, sehr überraschend. Anneliese fürchtete sich sehr vor diesem Teufel Fleischmann.

In der Tat ist in Anneliesens Tagebuch am 29. Oktober 1975 zu lesen: «Der 'Schwarze' hat mir mit der Faust gedroht.»

Aus Pfarrer Alts Erzählungen erfahren wir weiterhin, dass er von Anfang an Schwierigkeiten hatte, in dem Pfarrhaus zu schlafen. Die Haut habe ihm gekribbelt, als würde er in einem Ameisenhaufen liegen. Zwei Kerle hätten ihn hin- und hergezerrt, der eine nach rechts, der andere nach links. «Der rechts hat gewonnen,» setzt er schmunzelnd hinzu. Von oben kam einer auf ihn herabgesprungen und verpasste ihn um Haaresbreite. Es gab ein Gepolter, als ginge jemand die Treppe hinauf und hinunter, es wurde geklopft, die Tür ging auf und zu. Auch die Haushälterin konnte es hören und ihre kleine Tochter weigerte sich, weiterhin im Obergeschoss zu schlafen, weil da oben einer stehe, ein großer, schwarzer Mann. Im Laufe der Zeit erfuhr Pfarrer Alt, dass seit Menschengedenken das Pfarrhaus bekannt dafür war, dass da einer umgeht, eine schwarz gekleidete, hohe Gestalt mit einem schwarzen Hut. Pfarrer Alt selbst hat sie nie gesehen. Er spricht auch keine Vermutungen darüber aus, ob sie mit dem Teufel Fleischmann, der Anneliese geplagt hat, identisch sei und wie dieser Teufel an Anneliese geraten sein könnte.

Am Ende der zweiten Woche — der Exorzismus hatte am 24. September begonnen — scheint es, als sei die gegen die Dämonen angewandte Taktik erfolgreich. Sie werden merklich schwächer. Der gequälte Schrei «auf alle Ewigkeit verdammt — ooh» erklingt kaum mehr. Bei der exorzistischen Sitzung am 4. Oktober merkt man auf den Tonbändern auch noch andere vielversprechende Wandlungen. Die Teufel haben wenig zu sagen. Sie lassen lange Gebete ohne das obligate Gebrüll vorbeigehen. Am Montag, dem 6. Oktober, sind sie in Auflösung und im Rückzug. Sie lassen sich zwar immer noch nicht austreiben, aber keiner der höllischen Rotte kreischt einen Protest gegen die verabscheuungswürdigen Charakterzüge des Satans, die Pater Renz ihnen aufzählt, Vater des Zwists, der Lüge, der Gier und des Geizes. Nicht einmal die Nachhut knurrt gegen «Anneliese, famulam dei.» Nur am Ende der Sitzung gibt es nochmals ein lustloses Scharmützel, nur um den Anschein der Kampfbereitschaft zu wahren. Pater Renz war der Ansicht, man dürfe ihnen keine Ruhe geben und beschloss, schon am nächsten Tag, einem Dienstag, zurückzukommen, anstatt bis Mittwoch zu warten, wie er das vorher getan hatte. Leider sollte er schwer enttäuscht werden. Ob hier ein ursächlicher Zusammenhang bestehen mag oder nicht, wir müssen auf alle Fälle feststellen, dass laut Dr. Kehlers Krankenblatt, er an diesem Tag, dem 7. Oktober, Anneliese ein neues Rezept für Tegretal ausgeschrieben hat. Am gleichen Abend wurde der Waffenstillstand der ganzen Front entlang gebrochen. Die markdurchdringenden Schreie waren wieder da, von nur ganz kurzen Pausen unterbrochen, das Knurren, das Keifen gegen die lateinische Schelte, der Streit zwischen den Dämonen, welcher die Anneliese behalten würde, das wütende Gebrüll, dass keiner von ihnen, aber auch wirklich keiner die Absicht habe, auszufahren. Das Kreischen und Toben nimmt kein Ende. Unglaublicherweise brüllt einer der Dämonen plötzlich in der Weise, dass ein heiserer Schrei ertönt, der von einem ganz hohen, gespenstischen Gelächter begleitet wird.

Als diese mit unverminderter Kraft stundenlang andauernde Sitzung schon eine Weile im Gang war, kam Pater Rodewyk zu Besuch. Er wollte sich über Pater Renzens Leistung als Exorzist einen Eindruck verschaffen. Thea Hein hatte dafür gesorgt, dass Pfarrer Habiger am Aschaffenburger Bahnhof war und ihn abholte. Pfarrer Habiger war entsetzt, wie Anneliese tobte. «Werden die Dämonen sie nicht umbringen?» fragte er Pater Rodewyk. «Nein,» sagte der mit Bestimmtheit, «davon kann keine Rede sein. Die Dämonen dürfen einen Menschen wohl quälen, sie dürfen ihn aber nicht töten.» Als er bei der polizeilichen Vernehmung nach diesem Ausspruch gefragt wurde, konnte er sich nicht entsinnen, das gesagt zu haben, obgleich auch Pater Renz es gehört hatte. Er gab aber zu, dass das in seinen Büchern steht. Er überzeugte sich davon, dass der Exorzismus richtig ausgeführt wurde und blieb nur kurze Zeit. Die Dämonen tobten sehr gegen ihn, nicht aber gegen Pfarrer Habiger. Etwas später hört man, wie einer von ihnen brüllt: «Der sagt, er will noch net!» Dann kommt eine unerwartete Pause, eine Frau sagt etwas — was, ist auf dem Tonband nicht zu verstehen — und das bewirkt, dass Pater Renz mitten in seinem lateinischen Gebet innehält: «So, wie geht's denn?» fragt er. Und Anneliese antwortet ruhig, mit freundlicher Stimme: «Ach ja, grad gut!» als wäre sie eben ins Zimmer getreten. Die hierauf folgende Unterhaltung, sie dauert wenig mehr als zehn Minuten, liefert ein äußerst anschauliches Bild. Wir merken an kurzen Zwischenrufen, dass die jungen Leute dabei sind, etwas schüchtern im Hintergrund, Roswitha, Peter, Barbara. Anna und Josef Michel sind ängstlich um ihr gequältes Kind besorgt. Und wir fühlen die überragende Gegenwart des Paters, der das Gespräch beherrscht. Er duzt Anneliese, statt der etwas unpersönlicheren Sie-Form, die Pfarrer Alt bevorzugt.

Pater Renz fragt, ob Anneliese essen könne. Sie habe nicht viel Appetit, sagt sie und er meint, die Dämonen erlauben ihr wohl nicht, das zu essen, was ihr besonders gut schmeckte. Sich ihrer Sache bewusst, wie sie es immer ist, verneint sie das. «Aber auf dem Boden schlaf ich immer noch!» fügt sie hinzu.

«Immer noch? Legst du denn wenigstens eine Decke drunter?»

«Ja.»

«Wirst du aus dem Bett rausgeworfen?» Mit einem kurzen Lachen sagt sie: «Ach, ich geh gar nit mehr rein!» Etwas ernster fügt sie hinzu: «Ich merk das eben, ich kann net im Bett bleiben.»

«Darfst du denn wenigstens liegen?»

«Doch, das schon. Aber hier kann ich net liegen. Ich kann es versuchen, aber dann muss ich gleich wieder hoch. Und der — das heißt der Teufel — traktiert mich immer so, während der Priester betet.»

«Womit quält er dich denn?»

«Erstens seelisch, dass ich mich so furchtbar bange, so eine Untergangsstimmung habe. Und wenn der Pater mir das Kreuzzeichen macht, ist mir das immer ganz entsetzlich.»

«Hast du eine Ahnung, wo «er» sitzt?»

«Das ist ganz verschieden. Meistens ja überall, aber manchmal entweder da hinne, oder manchmal ummenei.» Anscheinend neugierig, ob sie nicht nur die Dämonen beobachtet, sondern auch das, was um sie herum vor sich geht, fragt Pater Renz:

«Als der Pater (Pater Rodewyk) da war, hast du das gemerkt?»

«Ja, ich krieg da alles mit. Aber ich hab ja so ein schwaches Gedächtnis. Das ist ja schrecklich. Es geht mir so, wenn der Pater betet, weiß ich oft nimmer, was er genau gesagt hat — ich meine, was «der andere» gesagt hat. Auch wenn ich lerne — ich will doch Prüfungen machen — also das ist grad eine Katastrophe!» Ihre erste Prüfung, in Theologie, ist am 6. November, dann kommt die «Missio» (Religionsunterricht), Politik, Deutsch, Pädagogik, sie zählt die Fächer der Reihe nach auf. Es gebe an die sechshundert Studenten, da müsse man gute Noten haben.

«Wenn du lernst, dann kommen die guten Noten schon.» Sie lacht wieder ein wenig: «Ich weiß ja nichts, ich kann ja nichts lernen!»

«Du hast doch gesagt, es geht manchmal schnell.» «Ja, aber das ist selten, dann ist es meistens zu kurz, die meiste Zeit kann ich überhaupt nichts tun. Jetzt bin ich dermaßen belagert ...»

«Dieses Belagertsein, wann hat das angefangen? Beim Abitur?»

«Nein, das war schon vorher. Also auf der zehnten Klasse (1968-69) hatte ich's schon ganz stark.»

«Schon als kleines Kind?»

«Nein, aber ich hab das schon früher gemerkt. Aber ich hab nur als gedacht, das hat jeder! Ich kann mich erinnern, dass ich schon früher so komische Sach' gehabt hab', ich weiß auch nicht, wie ich's sagen soll, so Angstzustände und Verzweiflung, und die Ursache, die wusst' ich nicht.» Pater Renz fragt nach der Kommunion. «Da war immer etwas, was mich zurückhielt. Aber ich bin dann doch gegangen. Aber das war manchmal schlimm, da bin ich so traktiert worden, und zwar seelisch, dann ist mir auch so schlecht geworden und manchmal bin ich rausgegangen. Danach ist es mir viel besser gegangen.»

Hier mischt sich die Mutter in die Unterhaltung: «Jetzt möcht sie schon neigehen in die heilige Messe ...» Pater Renz spricht dazwischen: «Das hat jetzt noch keinen Zweck, jetzt wird sie ja noch gestoßen (von den Dämonen)», und Anna Michel fährt unbeirrt fort: «Aber ich hab' gesagt, sie müsst' erst noch eine Weile abwarten.» Im Hintergrund hört man Barbara: «Sie fängt damit nur an, wenn der Pater betet.» Und die Mutter bestätigt es: «Die hat jetzt gar nichts, nur wenn der Herr Pfarrer mit dem Beten beginnt, dann fängt auch das Gestoßenwerden[3] wieder an.

«Das glaub ich», sagt Pater Renz. «Es fängt auf diese Weise an. Jetzt brauchst auch du niemand mehr zu schlagen, das ist vorbei. Das war eine Quälerei für dich.» Josef Michel lässt sich hören: «Jetzt brauchen wir sie nicht mehr zu halten.» Anna Michel wird lebhafter: «Ja, die haben wir gefesselt vor acht Tagen, da ist sie gefesselt gewesen. Da war's schlimm! Da hat sie gesagt: 'Ich geh heut in die Luft! Ihr müsst mich fesseln!'» Thea Hein bestätigt, wie furchtbar das war, und Anna Michel wiederholt: «Ja, wir haben die Füß' gefesselt und die Hand', wir haben sie so angebunden, weil sie's selbst gesagt hat, das hat sie drei- bis viermal gesagt: 'Ihr müsst mich heut fesseln, ich geh sonst in die Luft!'»

Anna Michel ist immer noch nicht fertig: «Aber sie sagt heute: 'Ich muss nichts sagen!'» Anneliese antwortet: «Ja!» Es folgt ein tiefer Seufzer und mit lautem Knurren ist der Dämon wieder da. Pater Renz braucht einige Sekunden, bevor ihm der schroffe Szenenwechsel aufgeht, dann wendet er sich von neuem dem lateinischen Gebet zu.

Die exorzistische Sitzung vom 10. Oktober ist fast so erregt wie die vorhergehende. Am 13. Oktober gibt es wieder, wie vor dem 7. des Monats, das ausgiebige Geknurre, das die Schreie unterbricht. Die Dämonen sagen allerhand, statt nur zu brüllen, und manchmal schweigen sie sogar während der langdauernden Gebete. Es war an diesem Tag, dass Anneliese etwas völlig Neues und Erfreuliches erlebte. In der Welt, die sie umgab, tat sich urplötzlich eine Tür auf, so, als sei sie blind und taub gewesen und könne nun sehen und hören. Die Gottesmutter, ihre Beschützerin während der exorzistischen Sitzungen, näherte sich ihr persönlich und begann mit ihr zu sprechen. Sie befahl ihr, aufzuschreiben, was sie ihr zu sagen habe. Anneliese tat, wie sie geheißen worden war. Außerdem verlangte die Gottesmutter, dass sie all dies Pater Renz erzählen solle. Gewissenhaft und praktisch, wie immer, machte sie einen Durchschlag der Eingebungen und gab diesen ihrem Seelsorger. Dies ist ihre diesbezügliche Eintragung:[4]

13. 10. 75.

Mutter Gottes: «Du wirst jetzt öfter solche Eingebungen[5] bekommen. Es wird nicht immer für Dich leicht sein. Sage dies alles Pater Arnold! . . . Dein Seelenführer soll P. Arnold sein.»

Als sie diese neue Entwicklung ihren Angehörigen erzählte, gab es natürlich einigen Zweifel. War es wirklich die Mutter Gottes, von der diese Eingebungen stammten, oder war dies vielleicht ein dämonischer Betrug? Anneliese selbst blieb kritisch. Sie machte sich allerhand Gedanken über die Eingebungen, die so unversehens in ihr auftauchten. Mehrmals ist zum Beispiel zu ersehen, dass sie sorgfältig abwog, ob eine gewisse Eingebung von der Gottesmutter stammen könnte, oder ob der Heiland so etwas sagen würde. Sie versuchte sich dadurch Sicherheit zu verschaffen, indem sie ihre eigenen Reaktionen beobachtete:

21. 10. 75.

(Eins muss ich ja feststellen, auch wenn ich immer wieder Zweifel habe über den Urheber der Eingebungen, dass ich seit kurzem ein stärkeres Verlangen oder Bedürfnis zum Beten habe.)

Die Dämonen jedenfalls sorgen dafür, dass wenigstens die Beteiligten an den Sitzungen keine Zweifel an der Echtheit der Eingebungen hegen. «Der Scheißdreck, was die da schreibt,» kreischt einer von ihnen und zeigt auf das Bild der Gottesmutter, «im Auftrag von der da ... was die da schreibt!» Was Pater Arnold Renz anbelangt, war sein erster Gedanke an Barbara Weigand, die oft ähnliche Eingebungen erhalten und viele davon aufgeschrieben hatte. Er versprach Anneliese, er würde ihr einige Abschriften leihen. Es war rührend zu sehen, wie die Vorfreude ihr Gesicht erhellte: hier war eine Frau, die Ähnliches erlebt hatte wie sie jetzt! Am 16. Oktober schrieb sie in ihr Tagebuch:

16. 10. 75, abends

Mutter Gottes: «Du wirst das Werk von Barbara Weigand vollenden.» (Ich wehre mich dagegen; kann ich nicht; soll sich jemand anderen suchen.)

Am Nachmittag des 17. Oktober fügt sie hinzu:

14.00 Uhr Mutter Gottes sagt: (Ich schreibe mit) «Ich will die Verbreitung von Barbara Weigands Sendung.»

Am gleichen Abend brachte ihr Pater Renz einen der Bände, als er zur Sitzung kam. Danach war es zu spät, Anneliese konnte sich nicht mehr damit befassen. Am nächsten Morgen jedoch machte sie sich sofort mit Feuereifer daran:

18. 10. 75, 18.00 Uhr

Mutter Gottes gibt mir ein, dass ich heute morgen nicht ganz richtig gehandelt habe. (Nach dem Frühstück fing ich gleich an, in Barbara Weigands Buch zu lesen; half nicht im Haushalt.) Zu viel Neugierde! Pflicht!

In den darauf folgenden Wochen schrieb sie sich eine Menge aus dem Band ab. Sorgfältig notierte sie die Seitenzahl und unterstrich, was ihr bedeutsam erschien, wie z. B. die Stelle, wo der Heiland zu Barbara Weigand sagt:

Was fürchtest du, dein Leiden umsonst gelitten zu haben? Setzen wir den Fall, dass selbst gar nichts geglaubt werde; du musst wissen, dass dir dasselbe Verdienst bleibt, wie wenn du dadurch die ganze Welt bekehrst, merk dir dies endlich einmal. . .

Ich habe dir heute morgen gesagt, dass ich die Zweifel und Ängste immer wieder verzeihe, ja ich habe diese dir verziehen; wiewohl du mich gebeten, dass ich dir das Leiden wieder abnehme, habe ich es dennoch nicht getan, denn du musst wissen, dass ich von dem Augenblick ah, wo du mir dein Jawort gegeben, du dich mir übergeben hast, ich von dir Besitz genommen habe und zwar nicht allein von deinem Geist, sondern auch von deinem Leib, und dass ich in dir wohne so lang und trotz aller Zweifel, bis du in eine schwere Sünde fällst. Du musst wissen, dass, wenn die Leiden von den Menschen kommen, sie doch in erster Linie von mir herrühren, und dass meine Hand die Menschen beeinflusst, sie dir zuzufügen.

Klar tritt hier zutage, was Anneliese hauptsächlich bedrückte. Warum musste sie so leiden? Würde sie bestraft, dass sie an Gottes Gnade zweifelte, weil die Dämonen sie so quälen durften? Und war ihre Hoffnung berechtigt, dass ihr Leiden einen versteckten Sinn hatte? Waren die Dämonen vielleicht von Gott gesandt, um sie zu prüfen, so wie die Menschen, die Barbara Weigand ein Leid zufügten, von des Erlösers Hand dazu gebracht waren?

Wie zur Bestätigung lesen wir folgende kurze Eintragung:

29. 10. 75

Wenn ich mich nicht irre, sagte Barbara Weigand gestern Nachmittag zu mir, dass ich viel werde leiden müssen.

An den Tagen nach der ersten Eingebung der Gottesmutter spricht auch der Heiland aus Anneliesens Tagebuchseiten. Er meldet sich mit einem einzigen Wort:

Dienstag, 14. 10. 75 Heiland: « Wundmale»

In treffender Weise kündigt sich hier etwas an, was dann während des Exorzismus am 17. Oktober vor sich ging. Die Dämonen waren, man möchte bald sagen zurückhaltend bei dieser Sitzung, fast wie am 6. Oktober. Pater Renz gab sich die erdenklichste Mühe, sie zu reizen, was er für nötig hielt, wenn er sie austreiben wollte. Unerwartet kommt einer der bösen Plagegeister mit einem Vorschlag. Pater Renz spricht davon in einem Brief an Bischof Stangl vom 18. Oktober 1975:

Gestern Abend sagte «er»: Ich muss euch im Auftrag von «.der da» (er, bzw. sie zeigt dabei auf die Mutter Gottes, deren Bild auf dem Tisch steht, neben anderem) sagen: Ihr müsst (er verbessert sich), Ihr sollt die heiligen fünf Wunden mehr verehren. Wir haben daraufhin sofort damit begonnen und zu Ehren der heiligen fünf Wunden gebetet. Das hat ihn gewaltig aufgeregt. Er schrie mir immer wieder ins Gesicht: «Halten Sie ihr Maul!».

Die Szene auf dem Tonband ist höchst eindrucksvoll: . . . die heilige Wunde deiner rechten Hand . . . «Halten Sie ihr Maul!» und dann langes, wütendes Knurren . . . die heilige Wunde deiner linken Hand . . . «Halten Sie ihr Maul!» noch viel wütenderes und schlimmeres Geknurr . . . die heiligen Wunden deines Hauptes ... «Halten Sie ihr Maul, hören Sie auf, ich kann das nit haben!» . . . Fauchen und furchtbares Brüllen. Trotz allem jedoch fahren die Dämonen nicht aus.

Die künftigen Tagebucheintragungen haben etwas Anheimelndes, etwas intim Persönliches an sich, so, als seien wir in Timmermans' Flandern versetzt. Die Gottesmutter lehnt sich über den Zaun in Anneliesens Welt. Jesus schreitet vorbei, der freundliche Bruder, Barbara Weigand sitzt in der Laube im Garten, Pater Pio kommt am Nachmittag zu einer Tasse Kaffee vorbei und der Böse lauert um die Ecke. Man weiß, wo er hockt, aber man sieht ihn nicht. Anneliese selber ist bewusst bemüht, das Ungreifbare der Erfahrung zu betonen. «Sehen tue ich nichts,» schreibt sie einmal. «Ich höre das nicht wörtlich gesprochen,» erzählt sie Pater Arnold Renz bei dem Gespräch im Februar 1976, «ich bekomme das zu wissen.» Eine einsichtige, äußerst kluge Formulierung, dies «ich bekomme es zu wissen». Dennoch können wir dem Bildhaften nicht entrinnen.

Die Mutter Gottes spricht über dies und das, Dinge, die für Anneliese wichtig werden. Da sind zum Beispiel die zwei Frauen von Klingenberg, Anneliese kennt sie. Man hat sie soeben in die staatliche Irrenanstalt von Lohr gebracht:


[1] Maria, die Gottesmutter. D.H.

[2] Auf einem für die Autorin besprochenen Tonband. F.G.

[3] Es war mitunter zu beobachten, dass Anneliese Michel beim Exorzismus von unsichtbarer Hand geschlagen wurde, mitten in den Rücken, ab und zu auf den Arm oder auf den Kopf, dass man die Haare auffliegen sah. Als Pfarrer Alt zum ersten Mal den Exorzismus betete, stockte Anneliese jeweils beim Ave Maria bei der Stelle «und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus». Das Wort «Jesus» brachte sie nicht über die Lippen, weil sie vom Dämon auf den Boden geworfen wurde. Anneliese schlug aber auch ihre Umgebung im Zustand der Krise. D.H.

[4] Pater Renz zensierte diese Aufzeichnungen, als er sie dem Staatsanwalt überlassen musste, und reichte nur die Teile ein, die sich auf Anneliesens religiöse Erlebnisse bezogen. Als Anneliesens Beichtvater war er hierzu durchaus berechtigt. Für diese Studie wäre es natürlich äußerst wünschenswert gewesen, wenn ich in das vollständige Tagebuch hätte Einsicht haben können. Leider wurde mir das nicht ermöglicht, aber Pater Renz überließ mir dennoch einige Bruchstücke, wie die Eintragung über das Erlebnis ihres Vaters in Russland. Die Klammern sind von Anneliese selbst gesetzt. F.G.

[5] In der Fachsprache der Mystik nennt man solche Eingebungen Auditionen (vom lateinischen «audire» = hören) im Gegensatz zu den Visionen (vom lateinischen «visio» = Schauung, Erscheinung). D.H.

Auszug aus dem Buch:

Prof. Dr. Felicitas D. Goodman

Anneliese Michel und ihre Dämonen

Der Fall Klingenberg in wissenschaftlicher Sicht

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